Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

59 Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 
Das Merkwürdigste an dieser ganzen Deduktion ist, daß der Ver- 
fasser durchaus den Beweis dafür schuldig bleibt, daß das von ihm mit 
so schwarzen Farben geschilderte Budgetrecht wirklich das in 
Preußen und dem Deutschen Reich geltende, daß die französisch-bel- 
gische Lex annua wirklich rezipiertes Recht sei!). Er stellt dies wie 
ein keines Beweises bedürfendes Axiom auf, und er kann zur Recht- 
fertigung nichts angeben, als daß nach der preußischen Verfassung 
Art. 99 und der Reichsverfassung Art. 69 alle Einnahmen und Aus- 
gaben für jedes Jahr veranschlagt (nicht wie Zorn wiederholt 
sagt, »bewilligt«) werden müssen. Die jährliche Bewilligung der 
gesetzlich feststehenden Einnahmen ist vielmehr in Art. 100 und 109 
der preußischen Verfassung ausdrücklich und im Art. 70 der Reichs- 
verfassung inhaltlich ausgeschlossen. Diese wichtigen Verfas- 
sungsartikel werden von Zorn einfach ignoriert. Der Schluß aber 
von der im Art. 71 der Reichsverfassung erwähnten jährlichen Bewil- 
ligung der Ausgaben ?) auf die rechtliche Ungebundenheit der gesetz- 
gebenden Körperschaften und auf die alljährliche Vollziehbarkeits- 
erklärung der bestehenden Gesetze muß als ein durchaus willkürlicher 
und unbegründeter zurückgewiesen werden’). 
Zorn beruft sich (Staatsrecht S. 337) darauf, daß jedes Etatsgesetz 
alle früher erlassenen Gesetze aufheben oder modifizieren könne nach 
dem Satz Lex posterior derogat priori. Diese Deduktion kann man 
gegen ihn selbst kehren. Denn wenn man dem Art. 71 den von Zorn 
behaupteten Sinn unterlegen könnte, so würde demselben doch durch 
jedes spätere Reichsgesetz, welches dauernde Institutionen mit 
dauernden Ausgaben eingeführt hat, für den Bereich seiner Wirksam- 
keit derogiert worden sein‘. Dies würde völlig genügen. Soweit 
Ausgaben durch Reichsgesetze nicht erforderlich gemacht sind, mag 
Art.71 in dem von Zorn ihm beigelegten Sinne gelten; insoweit müs- 
sen die Ausgaben jährlich »bewilligt« werden, und der Reichstag hat 
dabei die ungebundene Freiheit des Beschließens; soweit aber Reichs- 
gesetze dauernde Ausgaben direkt, wie z. B. die Pensionsgesetze, 
oder mittelbar, wie z.B. die Gesetze über die Einrichtung von Reichs- 
behörden oder die Friedenspräsenzstärke des Heeres anordnen, gehen 
sie als die späteren Gesetze dem Art. 71 der Reichsverfassung vor 
1) Auch in der zweiten Auflage seines Staatsrechts unterläßt er es, diesen Be- 
weis zu erbringen. Tezner.a. a.O. versucht den Beweis, daß Art. 69 in dem Sinne 
Zorns zu interpretieren sei, zu führen, aber meines Ermessens mit unzulänglichen 
Gründen, die bereits durch die Ausführungen Frickersa..a. O. im voraus wider- 
legt scheinen. 
2) Die preußische Verfassung spricht nirgends von einer Bewilligung 
der Ausgaben. 
3) Ueber Art. 71 der Reichsverfassung siehe oben S. 531 fg. 
4) Daß ein Spezialgesetz eine Verfassungsänderung bewirken könne, ohne dafs 
zuvor der Text der Verfassungsurkunde abgeändert wird, erkennt Zorn, Staats- 
recht I, S. 124 an.
	        
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