72 $ 99. Die Militärhoheitsrechte der Einzelstaaten.
inneren Unruhen und Aufläufen usw. und über den Waffengebrauch
des Militärs sind neue Vorschriften durch die Kabinettsordre vom
19. März 1914 ergangen. Es ist zunächst Sache der Zivilbehörden mit
den ihnen zu Gebot stehenden Machtmitteln Ruhe und Ordnung auf-
recht zu halten oder wiederherzustellen; die Truppen haben erst ein-
zuschreiten auf Anforderung der Zivilbehörde. Von dem Augenblick
der Gewährung der militärischen Hilfe an geht die Anordnung und
Leitung der zur Herstellung der öffentlichen Ordnung zu ergreifenden
Maßregeln allein auf den Militärbefehlshaber über').
Ill. DieMilitärhoheitsrechtegegen die Staatsangehörigen.
1. Die gesetzliche Wehrpflicht ist eine Untertanenpflicht
und als solche von den Angehörigen der einzelnen Staaten ihrem
Landesherrn zu leisten. Da jeder Landesherr nach der Reichs-
verfassung seine eigenen Truppen hat, so folgt daraus mit logischer
Notwendigkeit, daß die Wehrpflicht ihm gegenüber bestehen muß;
denn da es andere Truppen als die aus Wehrpflichtigen gebildeten
nach der deutschen Militärverfassung nicht gibt, so könnte es ohne
dieses Recht der Landesherren auch keine Kontingente derselben
geben. Andererseits ergibt sich aus dem Grundsatz, daß die Wehr-
pflicht eine Pflicht gegen den Heimatsstaat ist, mit logischer Not-
wendigkeit, daß das Grundprinzip der deutschen Militärverfassung
nicht die innere Einheit, sondern das Kontingentssystem ist. Für die
tatsächliche Erfüllung der Militärpflicht ist dieser Grundsatz
aber modifiziert teils durch das Recht des Kaisers zur Verfügung
über die von den Einzelstaaten gestellten Rekruten, teils durch die
Vorschrift, daß die Gestellung und Aushebung des einzelnen Wehrpflich-
tigen im Bezirke seines dauernden Aufenthaltsortes erfolgt‘), und
daß der Wehrpflichtige unter Umständen den Truppenteil selbst
wählen kann, bei welchem er seiner aktiven Dienstpflicht genügen
will?. Es ist daher die Möglichkeit gegeben, daß der Angehörige
eines Bundesstaates seine Militärdienstpflicht in dem Kontingent eines
anderen Bundesstaates, oder in der Marine oder Schutziruppe ableistet.
Dessenungeachtet besteht diese Pflicht für jeden Deutschen seinem
Staate gegenüber; der Dienst in einem anderen Kontingent des
Reichsheeres oder in der Marine ist nur ein reichsgesetzlich gestatteter
Modus der Leistung; durch Ableistung des Dienstes in einem anderen
Kontingent erfüllt man die Dienstverpflichtung gegen seinen eigenen
1) Diese Bestimmungen sind an Stelle der aus Anlaß der Zaberner Vorgänge
viel erörterten Kab.-Ordre von 1820 getreten. Vgl. meinen Aufsatz in der Deut-
schen Jurist.-Z. 1914 S. 185 f. Walter Jellinek, Zabern (Tüb. 1914). Otto Mayer,
Das Verwaltungsr. 2. Aufl. Bd. I. S. 3827 fg. Von dem Einschreiten des Militärs auf
Grund einer Requisition ist zu unterscheiden das eigene Recht des Militärs zum
Waffengebrauch zur Selbstverteidigung bei Angriffen, z. B. gegen Patrouillen, Wach-
posten, Wachlokale.
2) Wehrgesetz 8 17, Abs. 1. Militärgesetz 8 12. 3) Wehrgesetz $ 17, Abs. 2.