Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

ı4 $ 99. Die Militärhoheitsrechte der Einzelstaaten. 
zu dem Heimatlande wird im Wege der Reichsgesetzgebung das 
Nötige geordnet werden« !). 
Daß diese Auffassung der Wehrpflicht der Reichsgesetzgebung zu- 
grunde liegt, zeigt sich auch an einer eigentümlichen Konsequenz, 
welche sich nur aus ihr erklären läßt. 
Wenn in dem Kontingent eines Staates Angehörige eines anderen 
Staates dienen, so empfängt der erstere Leistungen, die dem letzteren 
gebühren; er empfängt sie deshalb gewissermaßen für Rechnung des 
letzteren und ist verpflichtet, sie ihm zu restituieren, d. h. ebenso 
viele Angehörige seines Staates zum Dienst in dem Kontingent des 
anderen Staates abzugeben, als Angehörige des letzteren in seinem 
Kontingente dienen. Die Staaten mit selbständiger Kontingentsver- 
waltung halten demnach unter einander Abrechnung über die- 
jenigen Mannschaften, welche in einem anderen Kontingente als in 
demjenigen des Staates, dessen Angehörige sie sind, ihrer Dienstpflicht 
genügen, und gleichen sich hierbei ergebende Differenzen dadurch 
aus, daß sie von ihren eigenen Angehörigen die entsprechende Anzahl 
von Rekruten an die anderen Armeekorps abgeben. Es ist dieses, 
ursprünglich auf einem Abkommen unter den Staaten beruhende 
Verfahren ausdrücklich in dem mMilitärgesetz 8 9, Abs. 4 sanktio- 
niert worden’. Unter denjenigen Staaten, welche mit Preußen zu 
einer gemeinsamen Kontingentsverwaltung verbunden sind, findet je- 
doch eine solche Abrechnung nicht statt ?). 
2. Den prägnantesten Ausdruck findet der Grundsatz, daß die 
gesetzliche Dienstpflicht eine Pflicht gegen den 'Heimatstaat ist, darin, 
daß jeder Wehrpflichtige den Fahneneid seinem Landesherrn leistet. 
Ihm gelobt er »als Soldat treu zu dienen«. In diesen, dem Landes- 
herrn zu leistenden Eid ist nach Art. 64, Abs. 1 der Reichsverfassung 
die Verpflichtung aufzunehmen, »den Befehlen des Kaisers unbedingte 
Folge zu leisten« *), während im Gegensatz hierzu die vom Kaiser er- 
nannten Offiziere den Fahneneid dem Kaiser leisten. 
1) Vgl. dazu Seydel, Kommentar S. 313. 
2) Vgl. die Auseinandersetzung des Berichterstatters über das Militärgesetz im 
Reichstage (Lasker). Stenogr. Berichte I Sess. 1874, S.841; Seydel in Hirths Annalen 
1875, S. 1455 und meine Erörterung im Archiv für öffentliches Recht Bd. 3, S. 521. 
3) Durch das Reichsgesetz vom 26. Mai 1893, Art. II, Abs. 5 ist diese Modifi- 
kation reichsgesetzlich sanktioniert worden. Siehe oben (S. 53fg.). 
4) Meyer, Annalen S. 345. Schulze II, S. 267, an den sich Brockhaus 
S. 117 ff. eng anschließt, sowie Bornhaka.a. OÖ. und Hänel S. 507 suchen diese 
unleugbare und mit ihrer Theorie schlechterdings unvereinbare Tatsache dadurch 
ihrer Bedeutung zu berauben, daß sie erklären, in dem Fahneneide verspreche der 
Wehrpflichtige seinem Landesherrn Treue, dem Kaiser dagegen Gehorsam; das Ver- 
sprechen der Treue sei aber ohne juristische Bedeutung und nur eine ganz über- 
flüssige Bekräftigung der auch während der Militärdienstzeit fortdauernden Unter- 
tanentreue; das Gehorsamsgelöbnis allein habe einen juristisch erheblichen Inhalt. 
Hier wird der Inhalt des Fahneneides entstellt. Der Untertan verspricht im Fahnen- 
eid seinem Landesherrn nicht, ihm die Untertanentreue zu halten — was in
	        
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