8 100. Die Festungen und Kriegshäfen. 77
8 100. Die Festungen und Kriegshäfen *).
l. Die staatsrechtlichen Regeln über Festungen und Kriegshäfen
im Bundesgebiete erhalten dadurch einen eigentümlichen Charakter,
daß hier nicht bloß die Grundsätze über die Militärverfassung, son-
dern auch diejenigen über die Gebietshoheit in Betracht kommen, und
daß dadurch das Rechtsverhältnis zwischen dem Reich und den Ein-
zelstaaten bestimmt wird. Die in der Reichsverfassung enthaltenen
Vorschriften sind sehr unvollständig und bedürfen in verschiedenen
Richtungen der Ergänzung.
1. Den Ausgangspunkt bildet der Satz, daß den Einzelstaaten an
den Festungen und Kriegshäfen die Gebietshoheit in dem Umfange
zukommt, welcher oben Bd. 1, $ 21 ff. dargelegt worden ist. Alle in
der Landeshoheit begründeten Rechte stehen ihnen soweit zu, als sie
nicht durch Reichsgesetze entzogen oder beschränkt sind, insbeson-
dere Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt und Besteuerungsrecht. Eine direkte
Anerkennung hat dies, wenn auch nicht in der Reichsverfassung selbst,
so doch in der Militärkonvention mit Sachsen Art. 8 erhalten, wo-
selbst es heißt:
»Die territorialen Souveränitätsrechte sollen
durch diese Bestimmung ebensowenig wie die ferner geltenden
Privatbesitzverhältnisse eine Aenderung erleiden.«
Die Festungen und Kriegshäfen sind demnach Bestandteile der
Gebiete der Einzelstaaten, und das Reich ist nicht befugt, dieselben der
Landeshoheit der Einzelstaaten zu entziehen. Weder die bereits vor-
handenen noch die neu anzulegenden Festungen und Kriegshäfen sind
reichsunmittelbare Gebiete ').
Das Reich ist aber berechtigt, innerhalb des Bundesgebietes Fe-
stungen anzulegen, und zwar steht die Ausübung dieses Rechtes dem
Kaiser zu?°), mit der aus den Grundsätzen des Finanzrechts sich
ergebenden, selbstverständlichen Beschränkung, daß die dazu erfor-
derlichen Geldmittel im Wege der Reichsgesetzgebung bewilligt wer-
den müssen °). Dieses Recht bezieht sich nicht bloß auf neu anzu-
herrn eingeholt werden soll. Durch die Militärstrafgerichtsordnung hat diese Be-
stimmung: hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens die Anwendbarkeit verloren.
*, Apelin Fleischmanns Wörterb. I, S. 766 u. IL, S. 676.
1) Eine Betätigung der preußischen Landeshoheit am Jadegebiet ist z. B.
der Erlaß vom 27. Mai 1869, wenngleich er im Bundesgesetzbl. 1869, S. 375 bekannt
gemacht worden ist.
2) D. h. ohne daß es der Zustimmung des Bundesrates und Reichstages bedarf.
Ein Beispiel bietet die „Feste Kaiser Wilhelm II.“ bei Mutzig im Elsaß.
3) Reichsverfassung Art. 65. Die Worte, „welcher die Bewilligung der dazu
erforderlichen Mittel, soweit das Ordinarium sie nicht gewährt, nach Abschnitt XO
beantragt“, hatten einen guten Sinn, solange ein festes Pauschquantum für die Mili-
tärbedürfnisse dem Bundesfeldherrn zur Verfügung stand (Art. 71, Abs. 2). Seitdem
dies aufgehört hat, sind sie mindestens überflüssig. —