Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

90 $ 101. Das stehende Heer. 
mäßigkeitsgründe dafür sprechen, die Präsenzstärke in einem beson- 
deren Gesetz dauernd oder für längere Zeit festzustellen, so besteht 
doch rechtlich keine Nötigung hierzu. Denn Art. 60 verlangt nur 
die Feststellung»im Wege der Reichsgesetzgebung«, also die 
Beobachtung der für die Reichsgesetzgebung vorgesehenen Form '); diese 
Form wird aber bei der Feststellung des Reichshaushaltsetats beobachtet 
und es ist demnach der Vorschrift des Art. 60 genügt, wenn im Etats- 
gesetz eine bestimmte Präsenzstärke dem Militäretat zugrunde gelegt 
wird ?). Dies ist ja auch der Zweck und die Bedeutung der Gesetze 
über die Friedenspräsenzstärke. Wenn also der Kaiser, der Bundesrat 
und der Reichstag über die Ansätze des Militäretats untereinander einig 
sind, so sind sie auch über die Grundlage dieser Ansätze einig. Es 
könnte auch leicht allen Bedenken vorgebeugt werden, wenn in das 
dem Voranschlage der Einnahmen und Ausgaben vorausgehende Etats- 
gesetz die Bestimmung aufgenommen wird: »Für das Rechnungsjahr X. 
wird die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres auf die Zahl von 
.... Gemeinen etc. festgesetzt.«e Es wäre dies aber eine praktisch be- 
deutungslose Form, da diese Zahl bereits den Ansätzen des Etats zu- 
grunde gelegt ist. Als Regel ist allerdings die Feststellung durch ein 
besonderes Reichsgesetz anzunehmen und dies ist auch in der Praxis 
bisher ausnahmslos befolgt worden; denn es entspricht einem konse- 
quent beobachteten Sprachgebrauch der Reichsgesetze, daß wenn Be- 
stimmungen zur Ausführung oder Ergänzung von Reichsgesetzen durch 
den Reichsetat getroffen werden sollen statt durch ein besonderes 
Gesetz, dies ausdrücklich erklärt wird >). 
1 Vel. Bd. 1,$ 55, 56. 
2) Vgl. hierzu die trefflichen Erörterungen Seydels in Hirths Annalen 
S. 1410 ff., welche von Rönne II, 1, S. 150 mit einigen Kürzungen wiedergibt. Der- 
selben Ansicht sind auch Meyer, Staatsrecht 8 198, Note 11; Pröbst, Reichsver- 
fassung Note 3 zu Art. 60; Arndt, Staatsrecht S. 512 und besonders v. Savigny 
Ss. 219 ff. und Sartoriusa.a. 0.8.81 f. Für die entgegengesetzte Ansicht er- 
klären sich Thudichum in v. Holtzendorffs Jahrbuch II, S. 109, H. Schulze in 
Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht II, S. 209 und Staats- 
recht II, S. 279 und besonders Preuß S. 71 ff., jedoch lediglich aus Erwägungen de 
lege ferenda, die bereits in den Verhandlungen des Reichstages von 1867, 1871 und 
1874 vielfach geltend gemacht worden sind. Es ist allerdings richtig, daß sowohl 
nach der Natur der Sache als nach der Vorschrift im Art. 62, Abs. 4 der Reichsver- 
fassunz, wonach bei Feststellung des Ausgabeetats die gesetzlich feststehende 
Organisation des Reichsheeres zugrundegelegtwerden soll, der korrekte Weg 
der ist, in einem besonderen — auf unbestimmte oder bestimmte Zeit geltenden, 
aber vom Etat getrennten — Gesetz die Präsenzstärke des Reichsheeres festzustellen. 
Wenn die Gesetzgebungsfaktoren aber darüber einig sind, statt dieses korrekten 
Weges die Feststellung durch das Etatsgesetz vorzunehmen, indem sie eine bestimmte 
Präsenzstärke den Ausgabeposten zugrunde legen, wie dies früher in Preußen 
stets geschehen ist und hinsichtlich der Marine auch im Reich alljährlich bis zum 
Erlaß des Flottengesetzes geschah, so wird doch niemand zu behaupten wagen, daß 
eine in dieser Form geschehene Normierung der Präsenzstärke ohne rechtliche 
Kraft sei. 
3) Diese ausdrückliche Anordnung enthalten auch die Reichsgesetze über die 
 
	        
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