644 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
gerufen hat!. Das Österreichische Gesetz kennt keine Mehrheit
verwaltungsgerichtlicher Instanzen und stellt das Organ der Ver-
waltungsrechtspflege nicht innerhalb, sondern ausserhalb des Ver-
waltungsrechtsorganismus. Dem Verwaltungsgerichte liegt die
Kontrolle der Gesetzmässigkeit administrativer Entscheidungen auf
Parteianrufen ob. Eine Beschwerde kann erst dann an dasselbe
gebracht werden, wenn die Angelegenheit die administrativen In-
stanzen durchlaufen hat. Das österreichische Verwaltungsgericht
ist lediglich ein Kassationshof, welcher, wenn er die Beschwerde
für begründet erachtet, nicht materiell abändernd erkennen,
sondern die angefochtene Entscheidung nur wegen mangelhaften
Verfahrens oder als gesetzwidrig aufheben kann. Auch das auf dem
Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867 beruhende Reichs-
gericht ist seiner Natur nach ein Verwaltungsgericht, indem dasselbe
über gewisse Ansprüche des öffentlichen Rechtes, besonders über
Beschwerden wegen Verletzung der durch die Verfassung gewähr-
leisteten politischen Rechte zu entscheiden hat.
So hat überall, wo deutsche Wissenschaft und deutsches
RRechtsbewusstsein befruchtend gewirkt haben, in den beiden letzten
Decennien, die Forderung einer unabhängigen Rechtsprechung auf
dem Gebiete des öffentlichen Rechtes gesetzliche Anerkennung ge-
funden, und die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zu einem bedeut-
samen Institute herangereift, dessen gemeinsame Wurzeln man
auch in seiner verschiedenartigen Ausgestaltung in den einzelnen
deutschen Staaten nachweisen kann.
$ 231.
II. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.
Durch die Schöpfung der Verwaltungsgerichte ist ein völlig
neues Glied im staatlichen Behördenorganismus entstanden, dessen
1 J. Kasserer, Die Gesetze vom 22. Oktober 1875, betreffend die Errich-
tung eines Verwaltungsgerichtshofes und die Entscheidung von Kompetenz-
konflikten zwischen dem Verwaltungsgerichtshofe und dem Reichsgerichte und
den ordentlichen Gerichten, mit Materialien. Wien 1876. (Besonders werthrvoll,
auch in wissenschaftlicher Beziehung sind die hier mitgetheilten Reden des
Ministers D. Unger.) Pann, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Oesterreich
1876. Dr. v. Kissling, Der Verwaltungsgerichtshof. Kritische Bemerkungen
zur Regierungsvorlage über die Errichtung desselben. Wien 1573. Derselbe,
Der Rechtsschutz der Einzelnen gegenüber den öffentlichen Organen in Oester-
reieh,. In Hartmann's Zeitschr. B. II. S. 226 ff.)