670 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
hielt man sich von einem Konkordate feın, dagegen ertheilte der
König der Bulle »de salute animarum« vom 16. Juli 1821 durch
Kabinetsordre vom 23. August 1821 die königliche Genehmigung.
In den meisten deutschen Staaten felılte es an einer festen ge-
setzlichen Abgrenzung und Behandlung der staatlichen und kirch-
lichen Rechte. In derkatholischen Kirche standen die unver-
änderten mittelalterigen Grundsätze der Kurie, welche theoretisch
in nichts von den Ansprüchen Gregor’s VII. abwichen, dem
polizeilichen Bevormundungssystem desJosephinismus und des Allge-
meinen Landrechts unvermittelt gegenüber. Die evangelische
Kirche blieb mehr oder weniger Staatsanstalt, über welche der
Landesherr nicht nur die Kirchenhoheit, sondern auch das Kirchen-
regiment ausübte. Nirgends tauchte in dieser Zeit auch nur ein
ernst gemeinter Versuch auf, sie im Geiste der Reformation, auf
presbyterialer und synodaler Grundlage aufzuerbauen. Beide
Kirchen, die evangelische und katholische, blieben in Deutschland
mit dem Staate verbundene privilegirte, öffentlich-rechtliche
Korporationen. Ihre Geistlichen waren öffentliche Beamte
mit politischen Befugnissen; nur diese Kirchen hatten das Recht
einer Öffentlichen Religionsübung und empfingen eine Dotation aus
der Staatskasse. Nur ihre Bekenner genossen in allen Staaten des
deutschen Bundes gleiche bürgerliche und staatsbürgerliche Rechte,
welche anderen Glaubensverwandten nur durch besondere Kon-
zessionen eingeräumt werden konnten (S. 384). Das Prinzip
des paritätischen Staates, welches einst im Reiche
gegolten hatte, wurde seit 1815 ın den konfessionell
gemischten Partikularstaaten durchgeführt und so mit
verschiedenen Kirchen die Verbindung fortgesetzt, die man früher
regelmässig nur mit Einer gepflegt hatte. Dieser Zustand wurde
zuerst durch die Bewegung des Jahres 1848 in Frage gestellt.
8 238.
3) Die Prinzipienkämpfe des Jahres 1848.
Eine veränderte Stellung der Kirche zum Staate wurde mit
Nothwendigkeit hervorgerufen durch die Erweiterung der indivi-
duellen Bekenntnissfreiheit (S. 385). Hatte bis zum Jahre 1848
das Religionsbekenntniss einen wesentlichen Einfluss auf die bürger-
lichen und politischen Rechte gehabt, so machten die Grundrechte
Art. V den Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte völlig