4. Behördenorganismus des Reiches. 95
anderen Regierung abhängen würde, wenn der Reichskanzler nicht
gerade einen preussischen Bevollmächtigten zu substituiren für gut
befinden würde (z. B. den bayerischen, wozu er unter Umständen ver-
tragsmässig verpflichtet sein würde). Nach der richtigen An-
sicht verfügt Artikel 15 nur über den Vorsitz und die
Geschäftsleitung im Bundesrathe. Für die etwa notliwendig
werdende Stellvertretung des Reichskanzlers, als des verantwort-
lichen Reichsministers, fehlte es an einer ausdrücklichen verfas-
sungsmässigen Bestimmung. Diese Lücke machte sich fühlbar, als
durch Schreiben vom 11. April 1877 die Vertretung des Reichskanz-
lers durch den Präsidenten des Reichekanzleramtes Hofmann und
durch den Staatssekretär v. Bülow dem Reichstage angezeigt wurde.
Der Widerspruch, auf welchen die Ausdehnung der Substitutions-
hefugniss des Artikel 15 auf die Funktionen des Reichskanzlers als
Reichsministers stiess, haben dann zu dem wichtigen Gesetze vom
17. März 1878 über die Stellvertretung des Reichskanzlere
geführt. Aufgabe desselben ist, die Stellvertretung des Reichs-
kanzlers als obersten verantwortlichen Reichsministers gesetzlich zu
regeln!. Daneben bleibt die Substitutionsbefugniss des Reichskanz-
lers in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Bundesrathes naclı
Artikel 15 unberührt. Beide Vertretungen bestehen als
selbständige Rechtsinstitute fort.
Nach dem Gesetze vom 17. März 1878 kann ein Stellvertreter
des Reichskanzlers für den gesammten Wirkungskreis desselben
aufgestellt werden, Generalstellvertreter, sowie Special-
stellvertreter für einzelne Amtezweige desselben. Während der
1 Die von der Regierung diesem Gcsetzentwurfe beigegebenen Motive sagen:
nDie Zulässigkeit einer Vertretung des Reichskanzlers ist bezüglich der Gegen-
zeichnung Allerhöchster Anordnungen und Verfügungen nicht ausdrücklich aus
gesprochen, Wenn nun auch eine früher nicht bestrittene Praxie eine Anzahl von
Fällen sufweist, in welchen Allerhöchate Anordnungen und Verfügungen in Ver-
tretung des Reichskanzlers kontrasignirt und in dieser Gestalt in die amtliche
Verkündigung übergegangen sind, ro iat doch, bei Gelegenheit des dem Reichs-
kansler im vorigen Jahre bewilligten Urlaubs, im Reichstage die Zulässigkeit
einer solohen Vertretung angezweifelt worden. Auch betrefls der dem Reichs-
kanzler zustehenden obersten Leitung und Aufsicht, welche aus der ihm über-
tragenen Gegenzeichnung rechtlich folgt, aber nicht überall mit Vornahme einer
Gegenseichnung susammcnfällt, ist Zweifel erhoben werden, inwieweit das be-
atehende Recht die Uebertragung auf Stellvertreter des Reichskanslers zulässt,
Ia die Gewalt der Thatsachen aber auf die Nothwendigkeit hinweist, gesetzlich
die unbestrittene Möglicheit einer entsprechenden Stellvertretung des Reichs-
kanzlers zu bieten, so wird die Gesetzgebung sich nicht länger dieser Aufgabe
entziehen dürfen«,