Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

5. Von der Reichsgesetzgebung. 117 
Inhalt einer solchen Vorlage ist er nicht verantwortlich. Auch darf 
eran den Vorlagen nicht das Geringste ändern, sondern muss sie 
ganz so an den Reichstag bringen, wie sie vom Bundesrathe abge- 
schlossen worden sind, snach Maassgabe der Beschlüsse des 
Bundesrathes« Nur der König von Preussen, nicht der Kaiser 
als solcher, hat die Initiative im Bundesrathe; er kann keinen Ge- 
setzesvorschlag, welcher dem Bundesrathe nicht vorgelegen hat 
oder in demselben unterlegen ist, im Reichstage einbringen. Der 
Reichstag, welchem ein Gesetzesvorschlag des Bundesrathes über- 
mittelt ist, kann denselben annehmen, abändern oder ganz ableh- 
nen, darf aber nicht über denselben zur Tagesordnung übergehen. 
In beiden Körperschaften entscheidet die einfache Stimmenmehr- 
heit, soweit nicht besondere Ausnahmen für das Zustandekommen 
von Bundesrathsbeschlüssen festgestellt sind, wie bei Verfassungs- 
änderungen im Artikel 78 Absatz 1, bei Beseitigung von sog. Son- 
derrechten im Artikel 73 Absatz 2, bei denjenigen Angelegenheiten, 
wo die Stimmen Preussens mit in der Stimmenmehrheit begriffen sein 
müssen, im Artikel 5 Absatz 2. Der Reichstag beschliesst dagegen 
immer mit einfacher Stimmenmehrheit. Wenn der Gesetzesvorschlag 
vom Reichstage ausgegangen oder ein vom Bundesrath ausgegange- 
ner Vorschlag vom Reichstage abgeändert ist, so wird derselbe vom 
Präsidenten des Reichstages dem Reichskanzler mitgetheilt, welcher 
ihn dem Bundesrathe übermittelt. Ist eine Uebereinstimmung, trotz 
fortgesetzter Verhandlungen, zwischen den beiden Körperschaften 
nicht zu erzielen, so kommt überhaupt kein Gesetz zu Stande. 
Vollständige Tebereinstimmung zwischen Bundesrath 
und Reichstag ist die Grundbedingung für das Zu- 
standekommen jedes Reichsgesetzes; dieselbe ist nach 
Artikel 5 auch für diesen Zweck ausreichend. Stünde dieser Ar- 
tikel 5 allein, so würde für das Zustandekommen eines Gesetzes 
weiter nichts nöthig sein, als die Uebereinstimmung dieser beiden 
Faktoren, wie nach manchen Verfassungen lediglich durch Ueber- 
einstimmung der Beschlüsse zweier Versammlungen der Gesetzes- 
wille zu Stande kommt (B.I. 8. 527), sodass die Feststellung des Ge- 
setzesinhaltes und die Sanktion sehr wohl begrifflich in einen Akt 
zusammenfallen kann. Eine solche Annahme ist aber für das deut- 
sche Reich durch Artikel 7 Ziffer 1 der Reichsverfassung ausge- 
schlossen, welcher dem Bundesrathe schlechthin das Recht beilegt. 
über alle vom Reichstage gefassten Beschlüsse zu beschliessen. 
Ein solcher Beschluss des Bundesrathes ist daher selbst dann noch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.