118 IL Von den Funktionen der Reichagewalt.
nothwendig, wenn der Reichstag eine Vorlage des Bundesrathes
unverändert angenommen hat. Der Kaiser ist daher nicht berech-
tigt, auf einen solchen übereinstimmenden Beschluss beider Körper-
schaften hin, ein Gesetz auszufertigen und zu verkündigen. Dies
kann stets nur auf einen letzten Beschluss des Bundesrathes hin
erfolgen. Der Rundesrath ist berechtigt, selbst einer von ihm aus-
gegangenen, vom Reichstag angenommenen Vorlage noch in letzter
Instanz die Genehmigung zu versagen. Damit ist dem Bundesrathe
das Recht der Sanktion aller Gesetzentwürfe gegeben. Die staats-
rechtliche Stellung beider Körperschaften ist daher auch auf dem
Gebiete der Gesetzgebung keine ganz gleichartige, indem Artikel 5
Absatz 1 durch Artikel 7 Ziffer 1 wesentlich modifieirt wird. Letz-
tere erst in die jetzige Redaktion der Reichsverfassung aufgenom-
mene Bestimmung entspricht übrigens ganz der stnatsrechtlichen
Natur beider Organe, indem der Bundesrath ein mitherrschendes
Organ, Mitträger der Reichssouveränetät ist, der Reichstag dagegen
nur die verfassungsmässige Theilnahme des Volkes an der Ausübung
der Reichsgewalt darstellt, ohne eigentliche obrigkeitliche Rechte
7u besitzen.
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Ausfertigung und Verkündigung der Beichsgesetze durch den Kaiser.
Diesem Rechte des Bundesrathes auf Sanktion aller Reichsge-
setze steht kein Veto des Kaisers gegenüber. Während der Kaiser
auf dem Gebiete der sog. Exekutive durch die Reicheverfassung mit
Befugnissen reich bedacht ist, ist er auf dem Gebiete der Gesetz-
gebung kärglicher mit Rechten ausgestattet, als jeder konstitu-
tionelle Monarch, ja selbst als sein Vorgänger im älteren deutschen
Reiche, welcher, trotz seiner sonstigen Machtlosigkeit, bis zuletzt,
allen sog. Reichstagsgutachten gegenüber, das Recht des absoluten
Veto besass und davon ım Jahre 1603 noch einmal bedeutsam Ge-
brauch machte (B. I. S. 79). Das dem heutigen Kaiserthum fehlende
Veto wird aber durch manche Surrogate ersetzt, welche zwar nicht
staaterechtlich, aber thatsächlich die Bedeutung eines Veto haben.
Dahin gehört die oben (B. II. S. 66) erwähnte Bestimmung der Reichs-
verfassung Artikel 5 Absatz 2, ferner die Möglichkeit, dass der Kaiser,
ale König von Preussen, mit seinen 17 Stimmen jede Verfassungs-
änderung zurückweisen kann, endlich die Bestimmung des Arti-
kel 21, dass der Rundesrath die Auflösung des Reichstages nur mit
Zustimmung des Kaisers beschliessen kann.