Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

5. Von der Reichsgesetzgebung. 123 
gen Satz, wonach wirkliche Rechtsvorschriften auf dem blossen 
Verordnungswege zu Stande kommen könnten. Der Artikel 5, wel- 
che zum Zustandekommen jedes Reichsgesetzes die Uebereinstim- 
mung von Bundesrath und Reichstag fordert, bezieht sich auf alle 
an die Reichsangehörigen zur Befolgung gerichteten Rechtevor- 
schriften. Nach Reichsstaatsrecht müssen, wie Laband sagt, alle 
Gesetze im materiellen Sinne auch Gesetze im formellen Sinne sein. 
Grundsätzlich können alle Verordnungen, soweit nicht besondere 
gesetzliche Bestimmungen eine Ausnahme begründen, nur Verwal- 
tungsvorschriften im obigen Sinne enthalten. Es fragt sich nur, 
wem ein solches Verordnungsrecht im deutschen Reiche zusteht? 
Darüber giebt Artikel 7 Absatz 2 eine klare Entscheidung: »Der 
Bundesrath beschliesst über die zur Ausführung der Reichsgesetze 
erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrich- 
tungen, sofern nicht durch Reichsgesetze etwas Anderes bestimmt 
iste. Aus diesem Satze ergiebt sich erstens, dass das Gebiet des 
Reichsverordnungsrechtes sich auf Vorschriften administrativer Na- 
tur beschränkt und auf solche Einrichtungen, welche zum Vollzuge 
der Reichsgesetze nöthig sind, zweitens, dass das regelmässige 
Organ der Ausübung dieses Verordnungsrechtes der Bundesrath ist, 
für welchen die Vermuthung streitet; drittens, dass dieses Ver- 
ordnungsrecht aber auch durch besondere gesetzliche Vorschriften 
auf ein anderes Organ übertragen sein oder noch übertragen werden 
kann, ohne dass es dazu eines verfassungsändernden Gesetzes bedarf. 
Nothverordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft, wie 
sie die meisten deutschen Landesverfassungen kennen (B. I. $ 155), 
sind der deutschen Reichsverfassung unbekannt. Dagegen können 
die Faktoren der Reichsgesetzgebung anderen Organen ein weiter- 
gehendes Verordnungsrecht übertragen, welches mit seinem Inhalt 
in das Gebiet der materiellen Gesetzgebung eingreift. Solche Dele- 
gationen haben stattgefunden und können stets stattfinden: 
it) an den Bundesrath, welcher an sich nur Verwaltungsvor- 
schriften erlassen darf, durch Delegation aber ermächtigt werden 
kann, auf dem durch die Delegation genau bestimmten Gebiete 
wirkliche Rechtsvorschriften zu erlassen, welche sonst nur auf dem 
Wege der Gesetzgebung ergehen könnten; 
2) an den Kaiser, entweder allein oder so, dass er an die Zu- 
stimmung des Bundesrathes gebunden ist; 
3) an den Reichskanzler; 
4) an die Regierungen der Einzelstaaten. Ein solches delegirtes
	        
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