Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

128 II. Von den Funktionen der Reichegewalt. 
Wähe nd das Reichsrecht des älteren deutschen Reiches in der 
Regel subsidiär gemeines Recht war, ist das des heutigen deut- 
schen Reiches absolut gemeines Recht. Ausnahmsweise kann 
jedoch auch ein Reichsgesetz von heute seine }estimmungen für 
subsidiär erklären, sodass sie nur in Ermangelung landesrechtlicher 
Vorschriften zur Anwendung kommen sollen. 
Die Aufrechterhaltung der vollen Wirksamkeit der Reichage- 
setze, etwaigen Uebergriffen der Landesgewalten gegenüber, kann 
auf zweierlei Weise erfolgen, unmittelbar oder mittelbar. 
a, Wenn ein Landesgesetz erlassen wird, welches in die Sphäre 
der Reichsgesetzgebung übergreift oder die volle Anwendung von 
Reichsgesetzen verhindert, so steht dem Kaiser bezw. dem Reichs- 
kanzler, das Recht und die Pflicht zu, die betreffende Regierung 
auf diesen Widerspruch aufmerksam zu machen und sie aufzufor- 
dern, eine derartige landesgesetzliche Bestimmung zu beseitigen. 
Im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen der Reichsregie- 
rung und der betreffenden Landesregierung steht nach Artikel 7 
Absatz 3 dem Bundesrathe die endgültige Entscheidung zu. Tritt 
dieser der Meinung der Reichsregierung bei, weigert sich aber trotz- 
dem die betreffende Landesregierung, die geforderte Korrektur der 
Landesgesetzgebung vorzunehmen, so kann die Reichsgewalt 
schliesslich selbst zum äussersten Mittel, der Exckution, vorschrei- 
ten, um den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. . 
2) Da die Reichsgesetze auch die Behörden der Einzelstaaten 
unmittelbar verbinden, so haben dieselben im einzelnen Falle 
selbst zu beurtheilen, ob ein von ihrer Regierung erlassencs Gesetz 
mit einem Reichsgesetze in Widerspruch steht oder nicht. Finden 
sie, dass ersteres der Fall ist, so haben sie stets dem Reichsgesetz den 
Vorzug zu geben und das widersprechende Landeagesetz ausser An- 
wendung zu lassen. Dies bezieht sich sowohl auf Gerichte, als auf 
Verwaltungsbehörden, doch ist das Verhältniss insofern ein ver- 
schiedenes, als die letzteren, bei erhobenem Zweifel über die Rechts- 
gültigkeit einer Landesgesetzes, an die Entscheidung der Oberbe- 
hörde gebunden sind, der sie dienstlich unterstehen, während 
die Gerichte nur nach ihrer unabhängigen juristischen Ueberzeu- 
gung über das Verhältniss zwischen Reichsrecht und Landesrecht 
zu urtheilen haben und durch keine Instruktionen vorgesetzter Be- 
hörden gebunden werden können (B. I. $ 200 betr. S. 566).
	        
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