206 II. Von den Funktionen der Reichsgewalt.
ander stipulirt sei (wie Laband II S. 363 annimmt). Eine solche
Auslegung ist aber keineswegs durch den Wortlaut des Artikels ge-
boten und widerspricht jedenfalls dem Wesen und Geiste einer Ver-
fassungsurkunde. »Wo die Verfassung beginnt, hört der Vertrag
aufe. Die Reichsverfassung enthält keine vertragsmässigen Verabre-
dungen zwischen den einzelnen Bundesgliedern, sondern stellt
die Rechte und Pflichten fest, welche zwischen diesen und dem
Reiche bestehen. Das Wort »verpflichten sich« kann also nichts
‘anderes heissen, als die Bundesregierungen sind dem Rei-
che gegenüber verfassungsmässig verpflichtet. Eine
V erfassung kann nur verfassungsmässige Rechtssätze, keine ver-
hal Diese staatsrechtliche Rich-
tigstellung des Artikel 42 ist von grosser praktischer Tragweite, denn
darnach erhalten die vom Bundesrathe ausgegangenen Vorschriften
eine ganz andere Bedeutung, als Laband ihnen beilegt, indem sie
als Ausführungsverordnungen des Artikel 32 ihre volle Berechti-
gung in Anspruch nehmen können. In diesem Sinne hat die Reichs-
verfassung Abschnitt VII verschiedene Sätze ausgesprochen:
1} »Es sollen demgemäss in thunlichster Beschleunigung über-
einstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche
Bahnpolizeireglements eingeführt werden«. Artikel 43 Absatz 1.
Da der Bundesrath nach Artikel 7? berechtigt ist, die zur Ausfüh-
rung der Verfassung und Gesetze erforderlichen allgemeinen Ver-
waltungsvorschriften und Einrichtungen zu beschliessen, so war er
auch befugt, die in Artikel 43 vorgesehenen Betriebseinrichtungen
zu treffen und Bahnpolizeireglements zu erlassen. Er that durch
Erlass derartiger Bestimmungen nur seine verfassungsmässige
Pflicht, den Artikel 43 auszuführen; dieselben sind daher nicht
wie Laband a. a. O. ausführt nur gültig, soweit sie den Landes-
gesetzen entsprechen und landesgesetzlich verkündigt sind, sondern
sind Reichsverordnungen!, welche als Reichsrecht allem Lan-
1 Dies ist besonders treffend in einer Entscheidung des Heichsoberhandels-
gerichtes vom 11. Oktober 1576 ausgeführt : »Die Bestimmung des Artikel 43 hat
nicht den beschränkten Sinn, es solle die Reichsgewalt indirekt, durch Ein-
wirken auf die Bundesregierungen den Erlass gleicher Bahnpolizeireglements her-
beiführen, vielmehr geht sie von der Voraussetzung aus, ea stehe der Reichs-
gewalt die Befugmiss direkt zu, durch Erlass berüglicher Poliseiverordnungen
gleiche Bahnpolizeireglements einzuf ühren. Diese Auslegung ist durch den
Zweck der Bestimmung gegeben und ihre Richtigkeit ist um so weniger zu bc-
zweifeln, als die Organe der gesetzgebenden Gewalt des Reiches, der Bundearath
und der Reichstag, sie ausdrücklich anerkannt haben, der Reichstag dadurch,
dass er im J. 1969 einen dahin gehenden Antrag stellte, der Bundesrath dadurch,