236 U. Von den Funktionen der Reichsgewalt.
von allen anderen Funktionen abweichende Thätigkeit der Staatse-
gewalt, welche darauf gerichtet ist, die Beziehungen des eigenen
Staates zu anderen selbständigen Staaten zu ordnen und zu lenken.
Diesen Zweig der Staatsthätigkeit bezeichnen wir als »die Verwal-
tung der auswärtigen Angelegenheiten«(TitelIV). Ihre Auf-
gabe ist zunächst die Pflege der friedlichen Beziehungen der Staaten
untereinander. Aber die Aufrechterhaltung derselben hängt nicht
immer von der einzelnen Stantagewalt ab. Bei den friedlichsten
Absichten kann ein Staat in seinen klarsten Rechten, in seinen
wichtigsten Lebensinteressen von anderen Staaten verletzt oder
wenigstens bedroht werden. Da aber über die Streitigkeiten der
Staaten kein Gericht ein endgültiges Urtheil sprechen kann, so
bleibt ihnen in letzter Instanz nur die Selbsthülfe übrig. Diese
tritt zunächst in gelinderer Gestalt, als Retorsion, Repressalie
auf, steigert sich aber im Kriege zum üussersten Grade der Ge-
waltanwendung. Der Krieg ist derjenige Zustand zweier oder meh-
rerer Staaten zu einander, in welchem sie ihre Ansprüche mit An-
wendung der äussersten Gewalt gegen einander durchzusetzen ver-
suchen. Der Krieg kann selbst bis zur staatlichen Vernichtung des
Gegners führen. Im Kriege würfeln die kriegführenden Staaten
um ihre Existenz. Daher ist es selbstverständlich, dass sie alle ihnen
zu Gebote stehenden Kräfte aufwenden, nicht nur um ihre Existenz
zu behaupten, sondern auch um ihren staatlichen Willen, dem Geg-
ner gegenüber, möglichst vollständig durchzusetzen, d.h. zu siegen.
Sieg ist das höchste Kriegeziel. Um zu diesem Ziele zu gelangen,
ist eine einheitliche Zusammenfassung aller im Volke vorhandenen
Wehrkräfte schon in Friedenszeiten nothwendig. Diese erfolgt im
Heere oderin der Armee, derjenigen staatlichen Institution, deren
wesentliche Bestimmung kriegerische Aktion nach aussen ist. Mag
man die Armee ausnahmsweise auch nach innen, zu Zwecken der
Sicherheitspolizei, zur Unterstützung der Civilbehörden, benutzen,
80 ist dies doch nur eine sekundäre Seite ihrer Aufgabe oder Wirk-
samkeit. Die beste Armee ist die, welche dem Staate in einem aus-
gebrochenen Kriege die stärkste Gewähr des Sieges verbürgt. Die
für den Kriegszweck am besten organisirte Armee ist aber zugleich
die stärkste Assekuranz des Friedens. Si vis pacem, para bellum.
Auf keinem Gebiete des Staatslebens ist die Einheit, vor allem der
einheitliche Befehl so nöthig, wie auf dem des Heerwesens. Die
Armee ist das mächtigste Instrument zur Durchsetzung des Staats-
willens. Daher kann die Verfügung über sie nur dem Träger der