9. Das Kriegsweaen des Reiches, 255
welcher zum Bunde wie ein kommandirender General zu seinem
Souverän stand, der Bundesversammlung verantwortlich war, von
ihr abgesetzt und vor ein Kriegsgericht gestellt werden konnte.
Dem sogenannten Bundesfeldherrn des norddeutschen Bundesheeres
stand der Oberbefehl über das Heer nicht im Auftrage einer über
ihm stehenden Macht, sondern aus eigenem Rechte zu. Er war
schon dazumal der oberste Kriegsherr des norddeutschen Bundes-
heeres, wie heut zu Tage der Kaiser der Kriegsherr des deutschen
Reichsheeres ist. Mit dem völkerrechtlichen Kriegsrechte, jus
belli, anderen Staaten gegenüber, vereinigt der Kaiser die staats-
rechtliche Kriegsherrlichkeit, d. h. die ausschliessliche Verfügung
über die ganze deutsche Kriegsmacht zu Kriegszwecken. Nach der
Reichsverfassungstehen dem Kaiser folgende specielle Befugnisse zu:
1) »Alle deutschen Truppen sind verpflichtet, dem Befehl des
Kaisers unbedingt Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist in den
Fahneneid aufzunehmen: Für die bayerischen Truppen besteht
dieselbe nur in Kriegszeiten, womit das Princip aber im wesent-
lichen gewahrt ist.
2) »Der Höchstkommandirende eines Kontingents, sowie alle
Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen,
und alle Festungskommandanten werden vom Kaiser ernannt. Die
von demselben ernannten Offiziere leisten ihm den Fahneneid. Bei
Generalen und Generalsstellung versehenden Offizieren innerhalb
des Kontingents ist die Ernennung von der jedesmaligen Zustim-
mung des Kaisers abhängig zu machen« Eine Ausnahme besteht
für Württemberg, wo der König auch die Generalsstellen selbständig
zu besetzen hat; auch die Besetzung der Stelle des Höchstkomman-
direnden des Kontingents erfolgt durch ihn, jedoch nach vorgüngi-
ger Zustimmung des Kaisers. In Bayern besetzt der König alle
Offiziersstellen ohne Ausnahme ganz selbständig.
3) »Der Kaiser ist berechtigt, behufs Versetzung mit oder
ohne Beförderung für die von ihm im Reichsdienste, sei es im
preussischen Heere oder in anderen Kontingenten, zu besetzenden
Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des Reichsheeres zu
wählen«. Bei den Offizieren des bayerischen Kontingents ist die-
ses Erwählungsrecht ausgeschlossen, bei den württembergischen
Offizieren hat sich der Kaiser vorher mit dem Könige von Württem-
berg ins Vernehmen zu setzen.
4) »Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu
tragen, dass innerhalb des deutschen Heeres alle Truppentheile voll-