9, Das Kriegswesen des Reiches. 277
Kriegsformation des stehenden Heeres, indem die sogenannten
Kadres durch Einberufung der Reserven ausgefüllt werden. Die
Kriegsformation tritt ein mit der Mobilmachung, ihre Anordnung
ist dem Kaiser anheimgegeben.
Anmerkung betreffend die Friedenspräsenzutärke des
stehenden Heeres.
Die Bestimmungen der Reichsverfassung über diesen Punktsind nur zu
verstehen aus ‚ welcher erst
in der Gesetzgebung des norddeutschen Bundes seinen legalen Abschluss
fand (B. ILS. 251). Letzterer hatte einen so tiefen Eindruck auf die preussi-
sche Regierung gemacht, dass sie die Wiederkehr eines solchen Zustandes im
norddeutschen Bunde um jeden Preis vermeiden wollte. Die ganze Regie-
rungsvorlage ist von dem Einen Gedanken beherrscht, dass man sich gegen
die Folgen eines schrankenlos ausgeübten Budgetrechtes des Reichstages
wenigstens auf dem Gebiete des Heerwesens sichern will. Das einfachste
Gegenmittel lag in dem ursprünglichen Regierungsentwurfe der norddeut-
schen Bundesverfassung, welcher folgende Bestimmungen enthält. Arti-
kel 56 (jetzt 60). vDie Friedenspräsenzetärke des Bundenheeres wird auf
ein Procent der Bevölkerung von 1867 normirt und wird pro rata dersel-
ben von den einzelnen Bundesstaaten gestellte, Artikel 58 (jetzt 62):
»Zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte Bundesheer und die zu
demselben gehörigen Einrichtungen sind dem Bundesfeldherrn jährlich
soviel 225 Thaler, als die Kopfzahl der Friedenspräsenzstärke des Heeres
nach Artikel 56 beträgt, zur Verfügung zu stellen. Wären diese Bestim-
mungen zur Annahme gelangt, so wären allerdings Militärkonflikte zwi-
schen der Reichsregierung und dem Reichstage für immer unmöglich ge-
macht worden, es wäre aber damit das konstitutionelle Budgetrecht des
Reichstages für immer vernichtet gewesen, da ihm der wichtigste Theil
des Etats einfach zur Kenntnissnahme vorgelegt worden wäre. Hier lag
der Brennpunkt der ganzen parlamentarischen Verhandlungen des konsti-
tuirenden Reichstages von 1867. Hätte hier die Regierung nicht nach-
gegeben, so wäre wahrscheinlich das ganze Verfassungswerk gescheitert,
indem der Reichstag wenigstens unter das Maass der in Preussen bestehen-
den konstitutionellen Rechte der Volksvertretung nicht zurückgehen wollte.
ergl. meine Einleitung $ 143 S. 462.. Der Reichstag nahm daher zu
Artikel 56 (jetzt 60) das Forckenbeck’sche Amendement an, welches
den eisernen Militärbestand und den Verzicht auf das Budgetrecht für einen
Vebergangszustand bis zum 31. December 1871 der Regierung einräumte,
von da ab aber verlangte: »Für die spätere Zeit wird die Friedenspräsenz-
stärke des Heeres im Wege der Bundesgesetzgebung festgestellte. Auch
sollten nur bis zu diesem Tage die fixirten jährlichen Beträge von je 225
Thaler für den Kopf zur ausschliesslichen Verfügung des Bundesfeldherrn
gestellt werden. Das vom Reichstage angenommene Forckenbeck’sche
Amendement genügte aber der preussischen Regierung nicht für die Sicher-
stellung der Heereseinrichtungen nach dem Jahre 1871. Den widerstrei-
tenden Anschauungen der Regierung und der Mehrheit des Reichstages
baute endlich das mit überwiegender Mehrheit angenommene Amendement