Vom deutschen Reiche überhaupt. 19
gebung gegenüber nicht. Ein Reichsgesetz kann den Einzelstaaten
auch die ihnen jetzt noch zustehenden Hoheitsrechte entziehen.
Die einzige, aber auch völlig genügende Schutzwehr liegt in der
Bestimmung des Artikels 78 Absatz I über Verfassungsünderungen,
wozu auch Kompetenzerweiterungen gehören, die stets mit Kom-
peteuzbeschränkungen der Einzelstaaten verbunden sind.
Dieser souveränen staatlichen Gesetzcsgewalt dcs Reiches
gegenüber machen nur die in Absatz 2 des Artikels 75 genau be-
zeichneten Sonderrechte einzelner Staaten eine Ausnahme, welche
nur durch Verzicht des sonderberechtigten Staates beseitigt wer-
den können. Ein solcher Verzicht wird dadurch erklärt, dass die
Stimme des berechtigten Staates sich unter der dem Gesetze zu-
stimmenden Mehrheit der Stimmen ım Bundesrathe befindet. Eine
Zustimmung des Landtages des betreffenden Staates ist von Reichs-
wegen nicht erforderlich. Dem Reiche gegenüber wird der
Wille des Einzelstaates durch die Abgabe der Stimme des Bevoll-
mächtigten im Bundesrathe dargethan; wie die Instruktion des
Bevollmächtigten zu Stande kommt, ist Sache des Landesstaats-
rechtes. Das Reich ignorirt das Zustandekommen der Instruktion
des Bevollmächtigten vollständig. Selbst eine mit Verletzung der
Landesverfassung zu Stande gekommene Stimmabgabe ist nach
Reichsrecht gültig, während allerdings das betreffende Ministerium
für die Ertheilung der Iustruktion der Landesvertretung nach Lan-
desrecht verantwortlich bleibt, der Bevollmächtigte nach Staats-
dienerrecht für eine instruktionswidrige Stimmabgabe zur Rechen-
schaft gezogen werden kann. Sollte selbst ein Ministerium in diesem
Falle wegen Verletzung landesrechtlicher Normen oder wegen Ge-
fährdung von Staatsinteressen nachträglich verurtheilt werden, das
mit seiner Zustimmung zu Stande gekommene Reichsgesetz ist un-
anfechtbar und geht als solches allen Landesgesetzen vor. Diese
Frage ist in den süddeutschen Landtagen eingehend behandelt wor-
den. ÜUcberall haben die Regierungen einstimmig erklärt, dass
die Zustimmung des betreffenden Bundesstaates durch
seinen Bevollmächtigten im Bundesratbe ausgespro-
chen wird, dessen Instruktion lediglich von sainer
Regierung ausgeht. Verschiedene Versuche, das entgegenge-
setzte Princip landesgesetzlich zu fixiren, wurden energisch zurück-
gewiesen (vgl. hierüber Seydel, Kommentar S. 273 f.).