250 li. Von den Funktionen dcs deutschen Reiches.
wie zum Reichstage. \Vürde eine Mehrheit im Bundesrathe sich für eine
Herabsetzung der bisher gesetzlich bestehenden Friedenspräsenz ausspre-
chen, so würde dem Kaiser Artikel 5 Absatz 2 zur Hülfe kommen, wo-
nach bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen die Stimme des Prä-
sidiums den Ausschlag giebt, wenn sie sich für die Aufrechterhaltung der
bestehenden Einrichtungen ausspricht. (So besonders LabandIIIlS. 91,
Thudichum, Verfassungsrecht des nordd. Bundes S. 414, in Holtzen-
dorff’s Jahrb. II S. 110, treffend besonders Seydel in Hirth’s Anna-
len a.a.O.S. 1413: »Eine Zustimmung des Bundesrathes zu einer Aende-
rung der in $ 1 des Reichsmilitärgesetzes normirten Friedenspräsenzstärke
liegt nur dann vor, wenn die Stimmen Preussens sich unter der für diese
Abänderung sich aussprechenden Mehrheit befinden«.) Davon durchaus zu
unterscheiden ist die Frage, was zu geschehen hat, wenn mit dem Ab-
laufe des jetzigen Septennates eine Einigkeit zwischen der Reichsregierung
und dem Reichstage über die Friedenepräsenzstärke des Heeres nicht zu
Stande kommen sollte. Unzweifelhaft dauern gewisse gesetzliche Grund-
lagen der Heeresverfassung fort, so die im Militärgesetze festgestellten
Formationen und Kadres, so der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht,
vor allem bleibt aber auch Artikel 62 Absatz 2 der Reichsrerfassung in
Kraft (wie Laband gegen Seydela.a.O.S. 418 und Zorn überzeu-
gend dargelegt hat!. Es ist dieses der auf dem oben erwähnten Amende-
ment Bennigsen-Ujest ruhende Satz: »Nach dem 31. December 1871
müssen diese Beiträge zur Reichekasse fortgezahlt werden (nämlich 225
Thaler für den Kopf.) Zur Berechnung derselben wird die in Artikel 60
interimistisch festgestellte Friedenspräsenzstärke so lange festgehalten, bis
sie durch ein Reichegesetz abgeändert ist«, Nach Seydel haben diese Ab-
sätze 2—4 des Artikel 62 nur eine vorübergehende Bedeutung, sie verloren
(nach ihm) schon durch Erlass des Gesetzes vom 9. December 1871 über
die Friedenspräsenzstärke für 1872—74 ihre Gültigkeit. Diese Ansicht
haben auch mehrere Reichstagsabgeordnete im ersten Reichstage von 1871
ausgesprochen, so besonders Sonnemann und Lasker. Wir legen
diesen Bestimmungen keineswegs eine bloss vorübergehende Bedeutung
bei, sondern halten sie auch heut zu Tage für den Fall noch fortgeltend,
dass ein Etatsgesetz nicht zu Stande kommt. Die Annahme des Amende-
mentsBennigsen-Ujest war die conditio sine qua non, unter welcher
die Regierungen von ihrem eisernen Militäretat abgingen und dem Reichstsg
auch auf diesem Gebiete ein Budgetrecht einräumten. Es ist nicht an-
zunehmen, dass sie diese wichtige Kautel fallen gelassen haben sollten,
ohne dass ihnen andere wirksame Garantien gegen einen möglichen Mili-
tärkonflikt gegeben worden wären. Dies ist aber nicht geschehen und so
ist anzunehmen, dass auch die Sätze 2—4 des Artikel 62 wieder aufleben,
wenn das Etatagesetz einmal nicht zu Stande kommen solite. Für diesen
Fall wollte sich die Reichsregierung wenigstens die Einnahmen sichern,
welche zur Erhaltung des Heerwesens nöthig sind. Es stellt sich in die-
ser Beziehung das Budgetrecht des deutschen Reiches ganz auf gleiche
Linie wie dss im preussischen Staate geltende, sodass anzunehmen ist, dass
auch diese Sätze unter dem Einflusse der Anschauungen des preussischen
Staatsrechtes zu Stande gekommen sind. \Venn in Preussen ein Etatsgesetz