10. Die auswärtigen Angelegenheiten. 321
noch für das gesaınmte Reich oder für einzelne Kreise, Reichsstände
und andere Reichsangehörige Gefahr oder Schaden entsteher. Da
aber das Urtheil hierüber wesentlich dem Ermessen jedes einzelnen
Reichsstandes anheimgegeben war, so hatte diese Klausel wenig
praktische Bedeutung und jeder Reichsstand, besonders jeder mäch-
tigere und grössere, liess sich in seiner auswärtigen Politik lediglich
durch sein Partikularinteresse bestimmen. Von einer auswärtigen
einheitlichen Reichspolitik war keine Rede mehr, wenn die Kaiser
auch oft habsburgische Hauspolitik für eine solche ausgaben. Ge-
rade an dem Punkte, wo eine Zusammenfassung allcr Befugnisse in
Einer Hand am meisten Noth thut, hatte die Reichsverfassung seit
dem westfülischen Frieden ihre schwächste Seite, welche das Aus-
land wohl zu benutzen wusste. An dieser verwundbarsten Stelle
seines Staatsrechtes erfolgte schliesslich der Todesstoss gegen die
Existenz des deutschen Reiches, nachdem dasselbe schon seit Jahr-
hunderten der Tummelplatz aller Intriguen auswärtiger Mächte ge-
wesen war.
$ 358.
Die Zeiten des deutschen Bundes 1815—1866.1
Bei dem Neubau einer deutschen Gesammtverfassung, welche
man auf dem Wiener Kongresse versuchte, war man sich gerade
dieser gefährlichsten Schwäche der älteren Reichsverfassung be-
wusst und in den ersten Entwürfen einer Bundesverfassung suchte
man nach Mitteln und Wegen, um der Wiederkehr dieser Gefahren
vorzubeugen. Aber gerade hier kam man mit den hochgeschraub-
ten Ansprüchen der Partikularsouveränetät in schneidenden Wider-
spruch. Seidem die Form des blossen Staatenbundes für
Deutschland entschieden war, mussten deren Konsequenzen auch
auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten gezogen werden.
Da die Souveränetät der Einzelstaaten die Grundlage des ganzen
Bundesverhältnisses war, so blieben dieselben auch völkerrechtliche
Subjekte mit allen Befugnissen solcher, soweit sie sich nicht durch
die Bundesverträge selbst einer Beschränkung im Gebrauche der-
selben, mit Rücksicht auf die Gesammtverbindung, unterworfen
hatten. Diese vertragsmässigen Beschränkungen sind besonders in
Artikel XI der Bundesakte enthalten. Darnach behalten die Bun-
1 Klüber, OeflentL Recht $ 183 f. Rudhardt, Das Recht des deutschen
Bundes. 8.155 f. Vor allem H. A. Zachariä, Aeussere Verhältnisse des deut-
schen Bundes. Band II. $ S41 ff. S. 791 fi.
I. Schulze, Deutsches Suantsrecht. UI. 2