Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

328 U. Von den Funktionen der Reichsgewalt. 
sich die preussische Verfassung Artikel 45 an: ».Völkerrechtliche 
Verträge, bedürfen der Zustimmung der Kammern, sofern es 
Handelsverträge sind oder wenn dadurch dem Staate 
Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen 
auferlegt werdene,! welcher wieder für die Auffassnng der deut- 
schen Reichsverfassung maassgebend gewesen ist. Ueberall, wo für 
einen Satz seinem Inhalte nach der Weg der Gesetzgebung vorge- 
schrieben ist, muss derselbe auch innegehalten werden, mag ein 
solcher Satz auch in die Form eines Staatsvertrages eingekleidet 
sein. Wo daher die Bestimmung eines Staatsvertrages einen die 
Bürger verbindenden Rechtssatz aufstellen, ein bestehendes Gesetz 
abändern oder aufheben will, ebenso wenn zur Ausführung eines 
Staatsvertrages besondere Geldmittel im Budget auszuwerfen sind, 
müssen die gesetzgebenden Faktoren ihre Zustimmung ertheilen; 
sonst würden ihre verfassungsmässigen Fundamentalrechte, ihre Zu- 
stimmung bei allen Akten der Gesetzgebung, ebenso wie ihr Bud- 
getrecht, leichthin umgangen werden können. Dies ist auch Rech- 
tens im deutschen Reiche, welches in dieser Beziehung mit dem 
Staatsrecht aller konstitutionell monarchischen Staaten auf gleicher 
Linie steht. Leitender Grundgedanke ist, dass durch 
Verträge mit fremden Staaten das innere Verfassungs- 
recht nicht verfassungswidrig alterirt werden kann. 
Wenn daher durch einen Staatsvertrag nicht bloss ein einfaches Ge- 
setz geändert werden soll, sondern ein Satz der Reichsverfassung, 
so muss die Form der Gesetzgebung beobachtet werden, welche 
für Verfassungsänderungen nach Artikel 78 Absatz 1 vorgeschrieben 
ist; handelt es sich aber um Aufhebung eines Sonderrechtes, so 
muss auch die Zustimmung des betheiligten Einzelstaates nach Ar- 
tikel 78 Absatz 2 hinzutreten. Wo dagegen die blosse Form der 
Verordnung ausreicht, um den Inhalt eines Staatsvertrages ins 
Werk zu setzen, ist der Kaiser an die Zustimmung eines anderen 
Organes nicht gebunden, sondern kann auf dem Verordnungswege 
die nöthigen Anordnungen treffen. Das sonst dem Bundesrathe nach 
Artikel 7? zukommende allgemeine Verordnungstecht fällt hinweg, 
da dem Kaiser nach Artikel 11 Absatz 1 grundsätzlich die gesammte 
völkerrechtliche Vertretung überlassen ist. Während auf dem Ge- 
biete der Gesetzgebung jedem einzelnen Bundesstaate das Recht 
! VergL mein preussisches Staater. B. IL 5271. S. 825. Ausführung von 
Gneist in dem oben erwähnten Gutachten.
	        
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