330 II. Von den Funktionen der Reichngewalt.
und diese ihm nachträglich versagt werden, so ist ein solcher Ver-
trag nach allen Seiten hin unverbindlich, weil ihm eine wesentliche
Bedingung zu seiner rechtsgültigen Entstehung fehlt. Es ıst nicht
möglich, die völkerrechtliche Verbindlichkeit eines solchen Ver-
trages zu behaupten, die staatsrechtliche Durchführbarkeit aber zu
verneinen, indem, wie Unger treffend bemerkt, »die Gültigkeit sich
nicht spalten lässt, ein Vertrag nicht nach aussen gültig, nach innen
ungültig sein kanne. Formell vertritt der Kaiser allerdings das
Reich allein und kann für dasselbe allein bindende Willenserklä-
rungen abgeben, materiell setzt sich aber bei allen oben genann-
ten Verträgen der Reichswille erst aus dem zueammentreflenden
Willen des Kaisers, des Bundesrathes und des Reichstages zusam-
men. Erst aus der Uebereinstimmung dieser drei Willensfaktoren
kann ein solcher Vertrag rechtsgültig zu Stande kommen; versagt
einer dieser Faktoren seine Zustimmung, so bleibt es bei einem
blossen Vertragsentwurfe. Diese Auffassung ist nicht allein juri-
stisch folgerichtig, sie beseitigt auch alle praktischen Schwierig-
keiten. welche bei der entgegengesetzten Auffassung entstehen kön-
nen, die trotz der staatsrechtlichen Undurchführbarkeit die völker-
rechtliche Verbindlichkeit eines Vertrages annimmt. Korrekter
Weise soll nie ratificirt werden, bis alle verfassungsmässigen Vorbe-
dingungen erfüllt sind. Sollte aber dennoch ratificirt sein und nach-
träglich die Genehmigung des Reichstages versagtwerden, so ist nach
der richtigen Ansicht kein Vertrag, sondern nur ein Vertragsent-
wurf zu Stande gekommen. Der auswärtige Staat hat aber dann
kein Recht, sich über Vertragsbruch zu beklagen, denn er musste
die Verfassung des Staates, mit dessen Oberhaupt er sich in Ver-
tragshandlungen einliess, soweit kennen, um zu wissen, inwieweit
sich dasselbe allein, inwieweit es sich nur mit Zustimmung anderer
Faktoren verbindlich machen konnte. Hat er die Befugniss seines
Mitkontrahenten in dieser Beziehung nicht hinlänglich geprüft, so
hat er es sich selbst zuzuschreiben, wenn der Vertrag in Ermange-
lung verfassungsmässiger Voraussetzungen nicht perfekt geworden,
sondern blosser Entwurf geblieben ist.!
! Auf diese Streitfrage bin ich in meinem preussischen Staater. B.II.S.625.
$ 271 eingegangen und halte meine dort entwickelte Ansicht fest. Es iet ein blei-
bendcs Verdienst Ernst Meicr’s in seinem gründlichen Werk über »den Al-
sehluss von Stantsverträgen« 1874, den richtigen juristischen Standpunkt featge-
stellt zu haben, der unseren deutschen Verfassungen allein entspricht. Ihm
haben sich viele neuere Schriftsteller angeschlossen, so Proebat a. a. O. 8.323,
so Prestelen.a.0.8.50, soauch v.Sarwey, Württemb. Staatar. B.II. S. 921f.;