Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

Elsass-Lothringen. 361 
souverainete et propritte. abgetreten. Letzterem staud daher die 
freieste Verfügung über dieselben zu und es liessen sich verschie- 
denartige Möglichkeiten denken, das staatsrechtliche Verhältniss 
derselben zu ordnen. Man konnte aus ihnen einen neuen Bundes- 
staat bilden oder man konnte sie einem bestehenden Bundesstaate 
überweisen oder man konnte sie zwischen mehreren Bundesstaaten 
vertheilen. Hätte man einen dieser Wege gewählt, so hätten sich 
diese neuerworbenen Gebietstheile in den bestehenden staatsrecht- 
lichen Bau des deutschen Reiches stilgerecht einfügen lassen. Es 
wäre dann zu den 25 Bundesstaaten nur ein 26. hinzugetreten, oder 
es wären bestehende Bundesstaaten in ihrem Gebiete vergrössert 
worden. Keiner dieser Wege wurde gewählt, sondern ein dritter 
eingeschlagen, dessen Beschreiten allerdings in die Reichsverfassung 
eine Anomalie hineintrug. Aus praktisch politischen Gründen 
glaubte man sich aber über diese Bedenken hinwegsetzen zu kön- 
nen und machte die neuerworbenen Gebiete zu einem sogenannten 
Reichslande, ohne sich über die Tragweite dieses Begriffes völlig 
klar zu sein; vielmehr schwebte dabei die ideale Auffassung vor, dass 
das, was mit gemeinsamer Kriegsarbeit aller Deutschen erworben sei, 
auch keinem deutschen Einzelstaate zu Gute kommen dürfe, son- 
dern Gemeingut des deutschen Reiches bleiben müsse. 
Obgleich Elsass-Lothringen durch den Friedensschluss für 
immer mit dem deutschen Reiche vereinigt worden war, so hielt 
man es doch für unmöglich, die Reichsverfassung in diesen Gebieten 
sogleich einzuführen. Dies sollte erst am 1. Januar 1873 erfolgen, 
wurde aber bis auf den 1. Januar 1874 verschoben. Bis dahin wurde 
ein provisorischer Zustand angeordnet, welchen man als »die kai- 
serliche Diktatur« bezeichnet hat. Der Kaiser übte darnach 
die gesammte Staatsgewalt in Elsass-Lothringen im Namen des 
Reiches aus, auch die gesetzgebende Gewalt, nur ist er beim Erlasse 
von Gesetzen an die Zustimmung des Bundesrathes, nicht des 
Reichstages, gebunden. Nur in einem Falle ist die Zustimmung 
des Reichstages erforderlich, nämlich wenn es sich um Aufnahme 
von Anleihen oder Uebernahme von Garantien für Elsass-Lothrin- 
gen handelt, durch welche irgend eine Belastung des Reiches herbei- 
geführt wird ($ 3). Durch Verordnung des Kaisers können mit 
Zustimmung des Bundesrathes einzelne Theile der Verfassung schon 
Ausführungen des Fürsten Bismarck, des Ministers Delbrück, des Berichterstat- 
ters Lamey, und die'herrorragende Rede von H. v. Treitschke in geschicht- 
lich-politischer Beziehung.
	        
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