Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

11. Elsass-Lothringen. 365 
Kaiser kann die landesherrlichen Befugnisse, welche ihm kraft der 
Ausübung der Staatsgewalt in Elsass-Lothringen zustehen, einem 
Statthalter übertragen, der in Strassburg seinen Sitz hat. Der Um- 
fang der dem Statthalter zu übertragenden landesherrlichen Befug- 
nisse wird durch kaiserliche Verordnung bestimmt. Aufihn gehen 
alle dem Reichskanzler in der elsass-lothringischen Landesverwal- 
tung bie dahin zustehenden Obliegenheiten über. Die Abtheilung 
ddes Reichskanzleramtes für Elsass-Lothringen wird aufgelöst, ebenso 
das Oberpräsidium. Die Spitze der Verwaltung ist von nun an der 
im Lande residirende Statthalter. 
II. Die gegenwärtige stastsrechtliche Stellung des Reichslandes 
im Allgemeinen. 
$ 375. 
I) Elsass-Lothringen kein Staat.! 
Durch das Gesetz vom 9. Juni 1871 ist, wie oben erwähnt, 
Elsass-Lothringen in eine ganz eigenthümliche staatsrechtliche 
Stellung gebracht, welche man mit dem Ausdruck »Reichsland« 
bezeichnen zu können vermeinte. Seit dem 1. Januar 1874 ist die 
Reichsverfassung in Elsass-Lothringen ins Leben getreten. Es ist 
aber nicht zu verkennen, das diese Geltung nur eine sehr modi- 
ficirte sein kann. Die Reichsverfassung setzt nach vielen ihrer 
einzelnen Bestimmungen, wie nach ihrem ganzen Geiste das Dasein 
von Einzelstaaten voraus. Nach der rechtlichen Natur des Bundes- 
stantes hat die Reichsgewalt keineswegs alle staatlichen Funktionen 
an sich gezogen, es findet vielmehr eine Theilung derselben zwischen 
der Reichsgewalt und der Staatsgewalt der Einzelstaaten statt. 
Wenn auch die Reichsgewalt die übergeordnete, souveraine ist, s0 
haben doch auch die Einzelstaaten ihre selbständige staatliche Be- 
rechtigung, die sie nicht von der Reichsgewalt ableiten. Kurz, das 
ganze Gebäude des Deutschen Reiches in seiner staatsrechtlichen 
Struktur setzt die Fundamente der historisch vorhandenen Einzel- 
t Darüber herrscht unter den Staaterechtslehrern fast vollständige Leber- 
einstimmung. Nur Seydel, Komm, 8. 31, behauptet, dass das Reichsland ein 
Staat sei. In neuester Zeit hat sich auch Leoni diesem Standpunkt genähert und 
nimmt an, dass Elsass-Lothringen »ein besonderes Staatswesen« sei (8. 225), dann 
nennt er es sogar ein »konstitutionelles Staatawesen«. Er tritt aber mit sich selbst 
in Widerspruch, wenn er S, 226 sagt: »Mit Recht wird daher Elsass-Lothringen 
die Bozeichnung als Staat yerreißert. « Zwischen Staat und Staatswesen findet 
kein begrifflicher Unterschied statt
	        
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