Vom deutschen Reiche überhaupt. 29
Staates selbst, nicht in einer über oder ausser dem Staate stehenden
Potenz ruhen kann, ist der Grundgedanke der allein richtig gedach-
ten Theorie der Staatssouveränetüt. Damit wird der Staat
nicht mehr als das Objekt, sondern als das Subjekt der Staats-
gewalt gedacht. Da nun das deutsche Reich kein blosser Staaten-
verein, sondern ein wahrer Staat ist, so steht die Reichsgewalt,
die Souveränetät, die suprema potestas imperii, dem
Reiche selbst, als ideellem Rechtssubjekt zu!. Aber jede
juristische Person des öffentlichen, wie des privaten Rechtes bleibt
ein Abstraktum, welches nicht von Natur wie der Mensch, die phy-
sische Person, wollen kann, sondern einer Organisation, d.h. willens-
fähiger Organe bedarf, welche für sie wollen und handeln. Solche
Organe zu besitzen, ist die charakteristische Eigenthümlichkeit
jeder juristischen Person, also auch des Staates, mögen dieselben
durch eine physische Person oder durch eine Kollektivpersönlich-
keit dargestellt werden. Diesen Organen, als solchen, steht die
Staatsgewalt nicht zu blosser Delegation, nicht bloss zur Handhabung
oder Ausübung, sondern zu eigenem Rechte, wenn auch im
Namen des Staates zu. In diesem Sinne muss auch das deutsche
Reich, als Rechtssubjekt oder organisches Gemeinwesen, seine ver-
fassungsmässigen Organe der Staatsgewalt haben. Die Reichsver-
fassung besitzt deren zwei, den Kaiser und den Bundesrath. Es
giebt eine schiefe Vorstellung von unserer Reichsverfassung, wenn
man entweder bloss den Kaiser oder bloss den Bundesrath als un-
mittelbares Organ der Staatagewalt betrachtet. Der Kaiser ist nicht
Monarch im Sinne des monarchischen Staatsrechtes der deutschen
Einzelstanten, aber er ist auch nicht bloss Beauftragter des Bundes-
rathes oder der verbündeten Regierungen, nicht bloss höchster Be-
amter, wie der Präsident einer Republik, sondern Mitträger der
Reichssouveränetätauseigenem Rechte. Dem Kaiser ge-
bühren wesentliche Bestandtheile der Reichsgewalt, ohne welche eine
ı Während das deutsche Territorialstaatsrecht ganz durch die Patrimonial-
theorie beherrscht wurde, war der Gedanke der Staatssouveränetät auch im ältern
Reichsstaatsrechte durchgedrungen. Schon früh wurde der Kaiaer als derjenige
angesehen, weloher des Reiches Rechte ausübte. Sachsensp. IIL 52. $ 1 und
54$ 2. Pütter inatit. $ 129: »Immo proprictas jurium, quae vel a solo Caesare
exeroentur, penesimperium est.« Man spricht nioht von kaiserlichen Lehen,
sondern von Reichslehen (die Lehensherrlichkeit stand beim Reiche, der Kai-
ser war nur prodominus), nicht von einer kaiserlichen Stadt, sondern von einer
Reichsstadt, oder man verband beiden, z. B. kaiserliohes und Reichs kammer-
gericht, kaiserlicher Reichshofrath. $ 68. Meine Einl $ 68.