Vom deutschen Reiche überhaupt. 31
des deutschen Heiches diejenige Auffassung zur Geltung, welche dem
konstitutionellen Verfassungsrechte der monarchischen deutschen Ein-
zelstaaten zu Grunde liegt. Die deutsche Reichsverfassung beruht mit-
hin auf dem sog. monarchischen Princip in der richtigen Auffassung
dieses Ausdruckes.« (Das Verfassungsrecht des deutschen Reiches. Leipz.
1872. 8.29. Anm. 4). Keine dieser beiden Ansichten wird der eigen-
thümlichen Natur des deutschen Reiches vollständig gerecht. Subjekt der
Reichsgewalt ist das lteich selbst als staatsrechtliche Persönlichkeit, das-
selbe besitzt aber zwei unmittelbare Organe oder Träger der Reichsgewalt
in Kaiser und Bundesrath. Wir haben diese Ansicht gleich nach
Gründung des norddeutschen Bundes (1667) ausgeführt, indem wir die
Eigenart des neuen deutschen Bundesstaates darin erkannten, dass der
wichtigste Theil der Centralgewult dem Oberhaupt des mächtigsten Ein-
zelstaates, als solchem, zu eigenem Rechte beigelegt ist. Die gleiche An-
sicht hat dann F. v. Martitz in seiner Schrift {Betrachtungen über die
Verfassung des norddeutschen Bundes S. 48) vertreten: »Der norddeutsche
Bundesstaat hat sonach eine Theilung der Centralgewalt eintreten
lassen. Für gewisse Angelegenheiten ruht sie bei der Gesammtheit der
Bundesglieder und findet ihr Organ beim Bundesrathe, für andere ist sie
bei der Präsidialmacht.« Dann hat sich O.Gierke in seinem höchst be-
achtenswerthen Vortrage (Das alte und das neue deutsche leich, 1874) in
diesem Sinne ausgesprochen. Darauf habe ich diese Auffassung in mei-
nem preussischen Staatsrechte B. II. $ 264 weiter vertreten. Am schla-
gendsten ist sie aber von Hänel in den Annalen des deutschen Reiches
(1877 8. 91) ausgeführt, wo er nachweist, »dass es unrichtig und unlo-
gisch ist, die Gesammtheit der Regierungen der Einzelstasten als aus-
schliessliche Trägerin der Reichssouveränetät zu betrachten und aus dieser
Gesammtheit nur ad hoc eine neue juristische Person zu machen.a Wenn
man das Reich als selbständiges llechtssubjekt und damit als Inhaber der
Reichsgewalt mit Fug und Recht betrachtet, 80 bedarf es zur Bethätigung
derselben nur Organe, welche für das Reich wollen und handeln. Dies
sind aber die durch die Verfassung berufenen Organe, Kaiser und Bun-
desrath. Beide leiten ihre Befugnisse unmittelbar aus der Natur des
Reichs als organischen Gemeinwesens, d. h. konkret ausgedrückt aus der
Reichsverfassung ab. Es ist durchaus überflüssig und sinnverwirrend,
zwischen das Reich als Rechtssubjekt und seine Organe noch als vermit-
telndes Glied »die (resammtheit der verbündeten Hegierungenr einzuschie-
ben, welche bereits ale Substrat ‚wenn auch nicht als alleiniges) der juri-
tischen Person des lteiches in Betracht kommen, darin aber auch gerade
in dem Organe des Bundesrathes ihre verfassungsmässige Vertretung
finden.
Ebensowenig aber dürfen wir den Kaiser als Monarchen im Sinne
des deutsch-k 'htes betrachten, welcher nach dem
Wortlaute der Verfassungen der Einzelstaaten die gesammte Staatsgewalt
inseiner Hand vereinigt und nur bei der Ausübung derselben an die Mit-
wirkung der Volksvertretung gebunden ist ($ 52 S. 185). Eine solche
Koncentration der Staatsgewalt findet im deutschen Reiche nicht statt,
der Kaiser theilt sie vielmehr mit einem zweiten Organe, dem Bundes-