1. Der Kaiser. 39
Succession in die.Kaiserwürde; sie sind nicht Reichsrecht gewor-
den, sondern preussisches Staatsrecht geblieben, haben aber eine
mittelbare Einwirkung auf die Thronbesetzung im deutschen Reiche.
Nach Artikel 53 gilt in Preussen die agnatische Li-
nealfolge nach dem Rechte der Erstgeburt. Es steht
aber kein Hinderniss entgegen in Preussen, wie in andern deutschen
Staaten, durch ein verfassungsänderndes Gesetz die subsidiäre kog-
natische Thronfolge einzuführen. Das Reich brauchte zu einer der-
artigen Veränderung der preussischen Verfassung seine Zustimmung
nicht zu geben; es genügte die Uebereinstimmung der preussischen
Krone und der beiden Häuser des Landtages. Es würde in einem
solchen Falle sogar eine auf den preussischen Thron berufene Kö-
nigin von Rechtswegen regierende deutsche Kaiserin werden
Hausgesetze B. II. S. 630).
Ein Reichsvikariat, wie es zu Zeiten des älteren deutschen
Reiches bestand, ist dem neuen deutschen Reiche fremd, weil bei
ihm nie, wie bei einem Wahlreiche, eine Erledigung der Kaiser-
würde stattfinden kann, welche mit der preussischen Krone im
Augenblicke des Dahinscheidens des Kaisers auf den Thronfolger
übergeht. Der Kaiser stirbt nicht. Dagegen kann der Fall
vorkommen, dass der Kaiser regierungsunfähig ist oder wird, und
zwar wegen mangelnder Altersreife oder aus andern Gründen. In
solchen Fällen hat eine Regentschaft einzutreten. Auch über
diese verfügt die Reichsverfassung nichts; sie muss ebensogut wie
die Thronfolge nach preussischem Staatsrechte beurtheilt werden.
Der preussische Regent ist von Rechtswegen deutscher
Reichsverweser, wie wir schon im preussischen Staatsrechte
B. II S. 795 näher ausgeführt haben. Nach richtigen staatsrecht-
lichen Grundsätzen ist der Regent in Preussen interimistisches
Staatsoberhaupt und übt ohne Ausnahme die volle preussische
Staatagewalt aus. Gerade weil diese als die untrennbare Grundlage
der deutschen Kaiserwürde gedacht ist, muss auch der preussische
Regent von Rechtswegen interimistisches deutsches Staatsober-
haupt sein, solange die Verhinderung des zum Throne berufenen
Monarchen dauert. Dem Regenten geht von den kaiserlichen Be-
fugnissen nichts ab, ale der Kaisertitel, welchen der zur Aus-
übung der Regierungsrechte unfühige, auf den Thron berufene Agnat
in Verbindung mit dem preussischen Königstitel zu führen hat. Es
ist ebenfalls keine Lücke, kein Uebersehen der Reichsverfassung,
dass sie keine Bestimmungen über Minderjährigkeit, Regierungs-