Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

46 L Von den Organen des deutschen Reiches. 
unitarisches und ein föderatives Element, welche sich das 
Gleichgewicht halten müssen, wenn der Bundesstaat einerseits nicht 
zum Einheitsstaate zusammenwachsen, andrerseits sich nichtin einen 
Staatenbund auflösen soll. Beide Richtungen müssen daher auch 
in den Institutionen jedes Bundesstaates ihren Ausdruck finden. 
Während in der nordamerikanischen Verfassung das nordamerika- 
nische Volk in seiner staatlichen Einheit im Repräsentantenhause 
dargestellt wird, kommt der Fortbestand der Einzelstaaten im Se- 
nate zum Ausdrucke, in welchem jeder Staat, der kleinste so gut 
wie der grösste, durch zwei Senatoren vertreten wird, welche von 
den gesetzgebenden Körpern der Einzelstaaten gewählt werden. Die 
schweizerische Verfassung von 1818 hat das nordamerikanische Vor- 
bild im Ständerath ziemlich wörtlich kopirt. Diesem Vorbilde der 
beiden republikanischen Bundesstaaten schloss sich der Entwurf der 
deutschen Reichsverfassung vom 28. März 1849 im wesentlichen an. 
Dereinheitlichen Exekutivgewalt des Kaisers stand, ala Volksvertre- 
tung, der Reichstag mit seinen beiden Häusern, dem Volkshause 
und dem Staatenhause, gegenüber. Das Staatenhaus entsprach dem 
nordamerikanischen Senate und dem schweizerischen Ständerathe, 
nur mit dem Unterschiede, dass bei der enormen Verschiedenheit 
der deutschen Staaten an Macht und Grösse eine Gleichheit der 
Stimmenzahl nicht durchführbar gewesen wäre. Während Preussen 
40, Bayern 18 Stimmen im Staatenhause zugesprochen erhielt, 
mussten sich die kleinsten Staaten mit je einer Stimme begnügen. 
Das Staatenhaus wurde in gleicher Weise in dem Entwurf einer 
Reichsverfassung vom 29. Mai 1849 (dem sogenannten Dreikönigs- 
bündniss) beibehalten. Als man im Jahre 1866 von neuem daran 
ging, Deutschland bundesstaatlich zu gestalten, sprachen sich aller- 
dings viele Stimmen und auch einzelne Regierungen dahin aus, 
dass man die gesammte Regierungsgewalt in die Hände des Reichs- 
oberhauptes legen und demselben einen aus zwei Häusern bestehen- 
den Reichstag mit Staatenhaus und Volkshaus gegenüberstellen 
sollte. Einen ganz andern Weg schlug aber der von der preussischen 
Regierung vorgelegte Entwurf ein, welcher die Grundlage der heu- 
tigen Reichsverfassung bildet. Anstatt eines Staatenhauses wurde 
der Bundesrath in’s Leben gerufen. Man hatin dessen Schöpfung 
etwas absolut Neues, von allen bisherigen Institutionen Abweichen- 
des, ja eine »proles sine matre creata« erkennen wollen. Dennoch 
schliesst sich gerade der Bundesrath am engsten an die in Deutsch- 
land früher bestandenen geschichtlichen Institutionen an. Er ist
	        
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