Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

2. Der Bundesrath. 59 
kriegsschatzes, indem alle kaiserlichen Verordnungen über die Sub- 
stanz desselben der Zustimmung des Bundesrathes bedürfen, alle 
Anordnungen, welche die Verwaltung betreffen, demselben vorge- 
legt werden müssen {Gesetz vom 11. November 1871). 
C. Rechtspflege. 
Während alle früheren Entwürfe einer deutschen Reichsver- 
fassung auf Errichtung eines obersten Gerichtshofes zur Entschei- 
dung staatsrechtlicher Fragen den grössten Werth gelegt 
hatten, hat unsere heutige Reichsverfaseung hier eine bedenkliche 
Lücke gelassen, indem sie für derartige Fragen keine eigentlich 
richterliche Instanz kennt und in wichtigen Beziehungen damit den 
einzelnen Bürgern, wie den Einzelstaaten und deren Regierungen 
den Rechtsschutz versagt. In dieser Beziehung erfüllte selbet das 
ältere deutsche Reich, wenigstens dem Princip nach, die Forderun- 
gen des Rechtsstaates mehr, indem die beiden höchsten Reichsge- 
richte auch in den wichtigsten staatsrechtlichen Fragen entscheiden 
konnten. Das heutige deutsche Reichsgericht, welches lediglich auf 
die Entscheidung privat- und kriminalrechtlicher Fälle beschränkt 
ist, und staatsrechtliche Fragen nur als Incidentpunkte entscheiden 
kann, kann sich deshalb an Bedeutung mit den alten Reichsgerichten 
nicht entfernt messen. Aus diesem Grunde muss der Bundesrath, 
welcher seiner ganzen Natur und Zusammensetzung nach nicht als 
richterliche Instanz eingerichtet ist, dennoch in einigen Fällen als 
Surrogat einer solchen dienen: 
1) Artikel 76 Absatz 1 bestimmt: »Streitigkeiten zwischen ver- 
schiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher 
Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu ent- 
scheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theiles durch den 
Bundesrath erledigt. 
Im heutigen deutschen Reiche ist, wie im ehemaligen deutschen 
Bunde, jede Art der Selbsthülfe untersagt, besonders bei Strei- 
tigkeiten der einzelnen Staaten untereinander. Dies bezieht sich 
sowohl auf den Krieg, wie auf Repremalien. Es muss daher, bei 
Ausschluss dieser völkerrechtlichen Mittel der Rechtsverfolgung, 
ein anderer Ausweg der ' Erledigung ı solcher Streitigkeiten gegeben 
sein. Bei einer privat gkeit, d.h. wo Staaten in ihrer 
Eigenschaft als Privatrechtssubjekte, als Fisci, miteinander i in Streit 
gerathen sind, kann der Staat, welcher sich in seinem Rechte verletzt 
fühlt, den verletzenden Staat vor seinen eigenen Gerichten belangen
	        
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