2. Der Bundearath. 61
ausgesprochen worden ist, aber darin steht unsere heutige Rechts-
ordnung selbst gegen die des ehemaligen deutschen Bundes zurück,
dass der Bundesrath es in seiner Hand hat, ob er das Austrägalver-
fahren vor einem obersten Gerichtshofe eintreten lassen will oder
nicht, und dass er die streitenden Theile an der Auswahl und Bil-
dung der Austrägalinstanz nicht theilnehmen zu lassen braucht.
2) Eine andere richterliche Funktion wird dem Bundesrathe
durch den zweiten Absatz des Artikel 76 übertragen, welcher lautet:
»Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, iu
deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher
Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines Theiles der Bun-
desrath gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im
Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen«.
Unter Verfassungsstreitigkeiten versteht man nur solche Strei-
tigkeiten, die in einem Bundesstaate zwischen der Regierung und
den Ständen (in den freien Städten zwischen den Senaten und den
Bürgerschaften) über die Auslegung der Verfassung und über die
Grenzen der Mitwirkung der verschiedenen Organe bei der Aus-
übung der staatlichen Hoheitsrechte entstehen. Der Bundesrath
darf sich nur einmischen, wenn er wenigstens von einem der strei-
tenden Theile aufgerufen ist. Ale ein solcher darf nur die Staats-
regierung oder die Ständeversammlung eintreten, nie ein Einzelner
(etwa ein Standesherr) oder eine blosse Korporation, wie eine Stadt-
gemeinde Daher sind Thronfolgestreitigkeiten zwischen
verschiedenen Prätendenten in einem Einzelstaate keine Verfas-
sungsstreitigkeiten im Sinne des Artikel 76; trotzdem muss das
Reich aus anderen Gründen für den Bundesrath auch darüber
gelingt innerhalb seines Schosses eine solche Angelegenheit zu befriedigender Lö-
sung zu bringen, diejenigen Rechtswege zu bezeichnen, auf denen die Sache zum
Austrage kommen kann. Vorzugsweise ist dabei auch der Fell einer Verweisung
an einc Austrägalinstanz vorausgesehen, Das verstehen wir unter dem Worte
»erledigt«. Man kann in diesen Worten nur die dem Bundesrathe beigelegte
Befugniss erkennen, eine derartige Streitsache an eine Austrägalinstans zu ver-
weisen, aber man darf nicht mit Seydel($. 254) harauslesen wollen, dassder Bun-
desrath die Streitsache stets an eine Austrägalinstanz abgeben müsse und nicht
selbst entscheiden dürfe. Die richtige Ansicht vertritt dagegen Laband, 1,9.269,
G. Meyer, Lehrb. 9. 558, Zorn, I, 8. 159. Nur darf man in einer solchen Ver-
weisung an eine Austrägalinstenz nicht bloss mit Laband die »Einholung eines
sachverständigen Gutachtens: sehen, sondern der Bundesrath bringt den ihm vor-
liegenden Rechtsstreit dadurch zur Erledigung, den er eine andere Instanz zur
Fillung des Rechtsspruches in seinem Namen veran
Ueber das Bundesausträgalverfahren vgL Klabı er $ 172f., Zöpfl, 5159.
Zachariä, Il, 267, 270 £.