Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

62 I. Von den Organen des deutschen Reiches. 
ein Entscheidungsrecht in Anspruch nehmen, welcher der verschie- 
denen Prätendenten als der rechtmässige Thronfolger anzusehen ist. 
Da die Einzelstaaten durch ihre Landesherrn im Bundesrathe vertre- 
ten werden, so hat derselbe das Recht und die Pflicht, zu prüfen, ob 
ein Bevollmächtigter seine Vollmacht von demlegitimen Landesherrn 
erhalten hat. In dieser dem }undesrathe obliegenden Prüfung der 
Legitimation der Bevollmächtigten liegt implicite auch sein Ent- 
scheidungsrecht über den in einem deutschen Staate stattfindenden 
Thronfolgestreit. In diesem Falle hat der I}undesrath sogar ex offi- 
cio zu entscheiden, weil er die Frage, wer als legitimes Bundesglied 
zu betrachten sei, um seiner selbst willen nicht unentschieden lassen 
darf. In allen eigentlichen Verfassungsstreitigkeiten, welche das 
innere Staatsrecht der Einzelstaaten berühren, hat er nur zu erken- 
nen, wenn er von einem der streitenden ‘Theile, der Regierung oder 
dem Landtage, angerufen ist, Diese Anrufung des Bundesrathes 
findet keine Anwendung in den Bundesstaaten, deren Grundgesetze 
die Entscheidung von Verfassuugsstreitigkeiten an eigene Behörde 
verweisen, wie dies in Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig, 
Sachsen-Koburg-Gotha, Sachsen-Altenburg und den Hansestädten 
der Fall ist (S. 505). Auch ist es den streitenden Theilen nicht 
verwehrt, auf einen Schiedsrichter zu kompromittiren. Ist dies 
nicht geschehen, so tritt auf Anrufen eines Theiles die Thätigkeit 
des Bundesrathes ein. Derselbe hat zunächst auf eigene Hand die 
gütliche Vermittlung zu versuchen. Schlägt diese fehl, so hat der 
Bundesrath kein alleiniges Entscheidungsrecht, wie bei Streitig- 
keiten unter einzelnen Staaten, vielmehr kann er die Sache nur im 
Einverständnisse und im Zusammenwirken mit dem Reichstage, 
durch ein Reichsgesetz, erledigen. Daraus, dass die Form der 
Reichsgesetzgesetzgebung vorgeschrieben ist, darf nicht gefolgert 
werden, dass hier nicht die Herbeiführung eines wahren Rlichter- 
spruches bezweckt werde. Ein Verfassungsstreit, wenn sich seiner 
die politische Leidenschaft auch noch so sehr bemächtigt, bleibt 
doch streng genommen eine Frage des positiven inneren 
Landesstaatsrechtes und somit eine juristische, die nur 
nach festen Rechtsgrundsätzen, nicht nach wechselnder politischer 
Konvenienz entschieden werden soll. Es ist dies auch eine Anforde- 
rung an die von dem Bundesrathe mit dem Reichstag zu treffende 
Entscheidung in Verfassungsstreitigkeiten. Wührend sonst für 
zahlreiche Verwaltungsakte der formelle Weg der Gesetzgebung 
vorgeschrieben ist, liegt hier, wie Laband bemerkt, der merkwür-
	        
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