2. Der Bundesrath. 63
dige Fall vor, dass ein Akt der Rechtsprechung sich in die Form
des Gesetzes kleidet. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass hier die
Grenze zwischen der Thätigkeit des Richters und des Gesetzgebers
leicht ineinander überfliesst. Politische Körperschaften, wie Bun-
desrath und Reichstag, sind wenig geneigt, stets bloss nach juri-
stischen Gründen zu urtheilen, es werden sich leicht auch politische
Erwägungen einfinden, ja es kann Fülle geben, wo das Verfassungs-
recht eines Einzelstaates so unklar, unzeitgemäss und damit so un-
haltbar ist, dass die gesetzgebenden Faktoren kein Bedenken tragen,
durch einen Akt der Gesetzgebung eine Um- und Neugestaltung
der bestehenden Verfassung vorzunehmen, wozu sie kraft ihrer
souveränen Gesetzgebung über den Einzelstaaten berechtigt sind.
Ein auf Grundlage des Artikel 76 Absatz 2 erlassenes Reichsgesetz
setzt ja jedes Landesgesetz, selbst jeden Artikel einer Verfassungs-
urkunde, ausser Kraft.
Jedenfalls muss diese Bestimmung der Reichsverfassung als
eine sehr unvollkommene erscheinen, denn in den meisten Fällen
wird gar keine Entscheidung zu Stande kommen. Wo das Recht
nicht so unzweifelhaft ist, dass eine abweichende Ansicht juristisch
kaum möglich erscheint, werden Bundesrath und Reichstag nur
selten ein übereinstimmendes Votum zu Stande bringen, indem der
Bundesrath meist auf Seiten der Regierung, der Reichstag auf Sei-
ten der Volksvertretung stehen wird. Die Folge wird sein, dass der
Verfassungsstreit unerledigt bleibt und die Wunde in den Rechts-
zuständen des Einzelstaates so weiter eitert, dass sie dem gesamm-
ten Rechtsbewusstsein der Nation Schaden bringt. (Man denke an
den hannöverschen und kurhessischen Verfassungsstreit zu Zeiten
des ehemaligen deutschen Bundes, dessen Schiedsgericht ebenfalls
ein todtgebornes Kind blieb.) Auch hier wird die Zukunft den
Anforderungen des deutschen Rechtsstaates mehr Rechnung tragen
müssen, indem dafür gesorgt wird, dass keine Streitigkeit des öffent-
lichen Rechtes in Deutschland unerledigt bleiben kann.
3) Artikel 77 bestimmt: »Wenn in einem Bundesstaate der Fall
einer Justizverweigerung eintritt und auf gesetzlichem Wege
ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, so liegt dem Bun-
desrathe ob, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen
des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Iieschwerden über
verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen und darauf
die gerichtliche Hülfe bei der. Bundesregierung, die zu der I}e-
schwerde Anlass gegeben hat, zu bewirken«.