64 I. Von den Organen des deutschen Reiches.
‘Diese Bestimmung ist erst auf den Beschluss des konstituiren-
den Reichstages Antrag Wiggers‘ in die Verfassung aufgenommen
worden und dem Artikel 29 der Wiener Schlussakte wörtlich nach-
gebildet. Dieselbe giebt dem Bundesrathe eine Befugniss, welche
indessen streng genommen nicht zur Rechtspflege, sondern zum
Aufsichtsrecht der Reichsgewalt über die gesammte Justiz im
Reiche gehört. Der Bundesrath hat über Beschwerden zu entschei-
den, welche gegen eine in einem Einzelstaate angeblich stattfindende
Justizverweigerung gerichtet sind. Der Verweigerung kann unter
Umständen auch eine Verzögerung oder Verschleppung der Justiz
gleichgestellt werden. Der undesrath hat dabei ganz nach Rechts-
grundsätzen zu urtheilen, wobei die Gerichtsverfassung und die
bestehenden Gesetze des betreffenden Einzelstaates als entscheidende
Normen zu Grunde zu legen sind. Sind die Gerichte nach den Lan-
desgesetzen nicht kompetent, über einen Rechtsfall zu entscheiden,
so liegt kein Fall der Justizverweigerung vor, wenn eine dahin ge-
richtete Klage zurückgewiesen wird. Bei der grossen Verschieden-
heit der Kompetenzgrenzen in den deutschen Einzelstaaten liegt
hierin freilich eine sehr bedeutende Beschränkung der Befugniss
des Bundesrathes. Wo der Bundesrath aber findet, dass nach den
Landesgesetzen eine Justizverweigerung vorliegt, so hat er deren
Abstellung bei der betreffenden Landesregierung zu bewirken,
d.h. wenn seine einfache Verwendung nicht beachtet wird, kann er
bis zu den äussersten Mitteln, selbst bis zur Exekution vorschreiten, .
um die Erfüllung der Bundespflichten durchzusetzen. Dagegen ist
der Bundesrath zu einer sachlichen Prüfung ergangener richter-
licher Urtheile niemals kompetent.
6 258.
III. Gesohäftebehandlung des Bundesrathes.
Dieselbe beruht theils auf der Reichsverfassung, theils auf der
Geschäftsordnung. Letzterer kommt nicht der Charakter eines
Reichsgesetzes, sondern eines autonomen Statuts zu, welches durch
einfachen Bundesrathsbeschluss wieder abgeändert werden kann.
Die jetzt geltende Geschäftsordnung beruht auf einem Bundesrathe-
beschluss vom 26. April 1650. (Als Manuscript gedruckt. Reichs-
druckerei). Aufderselben beruht die arstellung dieses Paragraphen.
Der Bundesrath ist keine stäıfdige Versammlung wie der ehe-
malige Bundestag zu Frankfurt a. M., noch ist er thatsächlich