Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Reichsstaatsrecht (2)

2. Der Bundesrath. 65 
permanent geworden, wie der Reichstag zu Regensburg seit 1663. 
Die Berufung, ‚Eröffnung, Vertagung und Schliessung desselben 
steht lediglich dem Kaiser zu. Das Berufungsrecht des Kaisers ist 
an sich ein freies, nur muss er den Bundesrath stets zugleich mit 
dem Reichstage einberufen, während der Bundesrath sehr wohl ohne 
den Reichstag einberufen werden kann. Auch muss der Kaiser den 
Bundesrath einberufen, sobald es von einem Drittel der Stimmen- 
zahl verlangt wird (Artikel 14). Da der Reichstag alljährlich wenig- 
stens einmal einberufen werden muss, so muss dies auch mit dem 
Bundesrathe geschehen (Artikel 13;. Obgleich der Bundesrath kein 
ständiges Kollegium ist, so findet zwischen seinen verschiedenen 
Sitzungsperioden Kontinuität statt, während das Princip der 
Diskontinuität nur bei eigentlichen parlamentarischen Körpern 
vorkommt (S. 495). 
Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschüfte 
steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist 
(Artikel 15\. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andre Mit- 
glied des Bundesraths vermöge schriftlicher Substitution vertreten 
lassen, doch hat Preussen in dem Schlussprotokolle zu dem Vertrage 
mit Bayern vom 23. November 1870 Nr. IX ses als ein Recht der 
bayerischen Regierung anerkannt, dass ihr Vertreter im Falle der 
Verhinderung Preussens den Vorsitz im Bundesrathe führe«!). Nur 
wenn kein preussischer Bevollmächtigter anwesend ist, hat Bayern 
den Anspruch, dass alsdann der bayerische und nicht der Bevoll- 
mächtigte eines anderen Staates substituirt werde. Nur wenn auch 
kein bayerischer Bevollmächtigter vorhanden wäre, würde das freie 
Substitutionsrecht des Reichskanzlers wieder aufleben. 
Die Leitung der Geschäfte, welche nach Artikel 15 dem Reichs- 
kanzler zukommt, ist durch die Geschäftsordnung geregelt. Die 
Mittheilungen des Reichstages, sowie die Anträge der Einzelstaaten 
und alle sonstigen Eingaben können nur durch ihn an den Bun- 
1 Der Abg. Windhorst (Stenogr. Ber. 1870 8. 60) apottete über diese Be- 
stimmung und frug, wann Preussen denn verhindert sei. Wenn der Bundeskanz- 
ler nieht da sei? Dann sicher nicht. Oder wenn alle 17 preussischea Mitglieder 
verhindert seien? Dann kommt Baycrn niemals zum Vorsitze.« Richtig Icgt Bey- 
deln.a. 0, 8. 122 dieZ. X des Protokolles aus: »Bayern wollte sich ein Vor- 
recht vor den übrigen Bundesmitgliedern sichern und zu diesem Behufe ver- 
einbarte man eine Beschränkung der dem Kanzler nach Artikel 15 Absats 2 
zustehenden Substitutionsbefugniss in der Art, dass derselbe im Falle seiner 
Verhinderung den Vorsitz ontwoder an ein preussisches oder ein bayerisches Mit- 
glied übertragen muss, ihn aber nie mit Lebergehung Bayerns an den Bcvoll- 
mächtigten eines andern Staates abgeben 
H. 8chulze, Deuisches Staatsrecht,. II. 5
	        
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