74 1. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
die Watten gehören mithin zum Staatslandgebiet. Künstliche Grenzen,
die nach den Grundsätzen der Erdmessung festgestellt werden, sind be-
besonders in den bisher noch nicht oder nicht vollständig erforschten
Ländern gebräuchlich. Die Grenze kann auch durch einen mehr oder
weniger breiten Landstreifen gebildet werden, der vielleicht als „neu-
trale Zone‘ der Verwaltung der beiden beteiligten Grenzstaaten ent-
zogen wird. So findet sich eine unbewohnte Pufferzone in dem türkisch-
russischen Friedensvertrag vom 13. Juni 1700 (Strupp, Orient 6). Vgl.
ferner die Abmachungen zwischen Spanien und Marokko vom 5. März
1894 über das Feld von Melilla; den Vertrag zwischen Schweden und
Norwegen vom 26. Oktober 1905. Dagegen hat die sogenannte öster-
reichische Militärgrenze stets einen Bestandteil der Habsburgischen
Monarchie gebildet.
2. Zum Staatsgebiet gehören, außer dem Mutterlande, völkerrechtlich
auch die Nehenländer oder Kolonien.
Auch als sogenannte Schutzgebiete (oben 8 6 III 3) stehen die
Kolonien zu dem Mutterland nicht in völkerrechtlicher, sondern in
staatsrechtlicher Beziehung; sie sind allen andern Staaten gegenüber
Ausland und werden durch das Mutterland völkerrechtlich vertreten.
An diesem Verhältnis ändert auch die weitestgehende, den Kolonien
eingeräumte Autonomie (die englischen Dominions) nichts.
8. Dagegen gehürt zum Staatsgebiet nicht das „Hinterland‘‘ der Kolo-
nien (die sogenannie Interessenspbäre).?) In diesem Geblet hat der Staat
nicht die Staatsgewali, sondern zunächst nur ein ausschließliches Okkupations-
recht, sowie das Recht, schon vor vollzogener Okkupation die Ausübung
fremder Staatsgewalten auszuschließen.
Die Abgrenzung des Hinterlandes, wie sie zwischen den ver-
schiedenen. Kolonialmächten durch zahlreiche Verträge im letzten
3) Der Ausdruck Hinterland ist in die fremden Sprachen übergegangen.
Vgl. über den Begriff Despagnet, R.G. 1103. Adam, L.A. VI284. van
Ortroy, Conventions internat. definissant les limites actuelles des posses-
sions, protectorats et spheres d’influence en Afrique 1898. Fleischmann,
Auslieferung und Nachteilenach Deutschem Kolonialrecht. 1906 S. 61. Sassen,
bei v. Stengel-Fleischmann II437. Nys II1ll6. Ullmann 302. — Über
die ältere Auffassung (symbolische Okkupation) vgl. unten $ 10 III. — Verschieden
von diesen nur ungenau sogenannten Interessensphären sind die „Einfluß-
sphären‘“, die in der heutigen Weltpolitik der Großmächte eine besondere Rolle
spielen. Sie entstehen, wenn ein Staat in dem Gebiete eines anderen Staates sich
die ausschließliche Betätigung seines politischen oder wirtschaftlichen Einflusses
sichert. Das Gegenstück bildet der Ausdruck des ‚‚desinteressement‘“, der Ver-
zicht auf die Wahrnehmung eigener Interessen in einem bestimmten Gebiet.
Diese vertragsmäßigen Abmachungen haben mit der hier behandelten Frage
nichts zu tun. — Deutschland in Kleinasien: Über die Bagdadbahn vgl.
Lemonon R.G. XVII201, XIX 318. Strupp II257. Deutsch-russischer Ver-
trag vom 19. August 1911 in N.R.G. 3. s. V 673.