Der Vormarsch auf Lüttich 25
front Lüttichs in den Schützengräben bei Ft. Barchon Uniformen liegen,
die die dort kämpfenden Soldaten zurückgelassen hatten.
Solche Art von Krieg entsprach nicht den kriegerischen Gebräuchen.
Es ist unserer Truppe nicht zu verdenken, wenn sie mit größter Schärfe-
dagegen einschritt. Unschuldige werden mit zu leiden gehabt haben, aber
die „belgischen Greuel“ sind eine überaus geschickte und mit allem Raffine-
ment erfundene und verbreitete Legende. Sie müssen einzig und allein
der belgischen Regierung zur Last gelegt werden. Ich selbst war mit dem
Gedanken einer ritterlichen und humanen Kriegführung ins Feld gezogen.
Dieser Franktireurkrieg mußte jeden Soldaten anwidern. Mein sol-
datisches Empfinden hatte eine schwere Enttäuschung erlitten.
IV.
Die Aufgabe, die die vorausbeförderten Brigaden vor Lüttich zu lösen
hatten, war schwer. Es war auch eine unerhört kühne Tat, durch die Fortlinie-
einer neuzeitlichen Festung hindurch in deren Inneres einzudringen. Die-
Truppen fühlten sich beklommen. Aus Gesprächen mit Offizieren entnahm
ich, daß die Zuversicht auf Gelingen des Unternehmens nur gering war.
In der Nacht vom 5. zum 6. August begann der Vormarsch durch
die Werke nach Lüttich hinein. In einer Einzelschrift des Generalstabes,
herausgegeben bei Stalling in Oldenburg, ist die gesamte Handlung be-
schrieben. Es liegt nicht in meiner Absicht, sie zu wiederholen, ich will
nur meine persönlichen Erlebnisse schildern.
Gegen Mitternacht des 5./6. verließ General v. Emmich Hervé. Wir
ritten zur Versammlung der 14. Inf. Brig. — Generalmajor v. Wussow —
nach Micheroux, etwa 2 bis 3 km von Ft. Fléron entfernt. Auf der
Straße, die von dem Fort aus unmittelbar bestrichen werden konnte, sam-
melten sich in tief dunkler Nacht die Truppen mit den ihnen noch recht
ungewohnten, aber so überaus segensreichen Feldküchen in einer wenig
kriegsmäßigen Weise. In diese Versammlung hinein fielen einige Schüsse-
aus einem Hause südlich der Straße. Es entstanden Kämpfe. Das Fort
aber schchieg, es war ein Gotteswunder. Etwa gegen 1 Uhr begann der
Vormarsch. Er führte uns nördlich Ft. Fléron vorbei über Retinne hinter
die Fortlinie und dann auf die am Rande der Stadt gelegenen Höhen der
Chartreuse. Dort sollten wir am frühen Vormittag sein; die übrigen
Brigaden, die die Fortlinie an anderer Stelle durchbrechen sollten, hatten
zu gleicher Zeit die Stadt zu erreichen.
Der Stab des Generals v. Emmich war ziemlich am Ende der Marsch-
kolonne. Plötzlich ein Halt von längerer Dauer. Ich schob mich von hinten
durch die Marschkolonne nach vorn hindurch. Der Halt war ohne jeden