Full text: Lesebuch für Landwirtschaftliche Winterschulen und ähnliche Anstalten im Königreich Bayern.

II. Der Tandwirt in Jamilie, Gemeinde 
und Staat. 
—ä 
15. Der Sonntag im Bauernhause. 
Der Sonntag kam vom Himmel herauf, hell, klar, wunderschön; die 
dunkelgrünen Grashalme hatten mit Kränzen ihre Stirn geschmückt und 
funkelten und dufteten als süße Bräute in dem Tempel Gottes. Tausend 
Stieglitze, tausend Lerchen, tausend Amseln sangen die Hochzeitslieder; mit 
weißem Bart, ernst und feierlich, aber mit den Rosen der Jugend auf den 
Wangen, sahen die alten Berge der Alpen nieder als Zeugen auf die schöne 
Braut und als Gottes Priesterin erhob sich die Sonne hoch über alle und 
spendete in funkelnden Strahlen den Hochzeitsegen. 
Der tausendstimmige Gesang und des Landes Herrlichkeit hatten den 
Bauer früh geweckt; er stand auf, ging hinaus und wandelte andächtigen 
Gemüts dem Segen nach, den ihm Gott beschert hatte. Er durchging 
mit hochgehobenen Füßen und langen Schritten das mächtige Gras, stand 
am üppigen Kornmeer still, an den wohlgeordneten Pflanzplätzen, dem sich 
sanft wiegenden Flachs; er betrachtete die schwellenden Kirschen, die von 
kleiner Frucht starrenden Bäume mit Kernobst; band hier etwas auf, sam- 
melte dort etwas Schädliches ab und freute sich bei allem nicht nur des 
Preises, den es kosten könne, sondern auch des Herrn, von dessen Güte 
die Erde voll, dessen Herrlichkeit und Weisheit mit jedem Morgen neu sei. 
Im stillen dachte er: Sieh, wie jeder Baum in seiner Pracht, jeder 
Acker in seiner ganzen Fülle, jedes Geschöpf mit seinem ganzen Wesen Gott 
preist, so sollte es auch jeder Mensch tun aus Herzensgrund in all seinem 
Tun und Lassen, nicht bloß mit dem Munde. Ich und mein Weib und 
meine Kinder wollen freilich dem Herrn dienen, wenn wir auch oft dagegen 
fehlen; denn was hälfe uns Gewinn der ganzen Welt, wenn wir Schaden 
an der Seele nehmen? Aber auch für die Seelen meiner Leute muß ich 
sorgen; hole ich doch den Arzt, wenn der Körper krank ist. 
So hatte er unvermerkt die Essenszeit versäumt. Als er zur Küchen- 
tür eintrat mit der freundlichen Frage: „Ist das Essen fertig?“ erhielt er 
ebenso freundlich zur Antwort: „Freilich! wir hätten schon längst essen 
können, wenn du dagewesen wärst. Aber mit wem hast du wieder ge- 
plaudert?“ — „Mit dem lieben Gott,“ antwortete er ernst. Schweigend
	        
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