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stolzer Ruhe liegt das Haus mitten in den grünen Bäumen, in ruhigem,
gemessenen Anstande bewegen sich um und in demselben seine Bewohner
und über die Bäume schallt höchstens das Wiehern der Pferde, aber
nicht die Stimme der Menschen. Es wird nicht viel und laut getadelt.
Mann und Weib tun es gegen einander nie, daf es andere hören,
über Fehler der Dienstboten schweigen sie oft oder machen gleichsam
im Vorbeigehen eine Bemerkung, lassen bloß ein Wort, eine Andeutung
fallen, welche nur das Ohr dessen erreicht, dem sie gilt. Wenn etwas
Besonderes vorgefallen oder das Maf voll geworden ist, so rufen sie
den Sünder ins Stübli, und zwar so unbemerkt als möglich, oder suchen
ihn bei einsamer Arbeit auf und lesen ihm unter vier Augen ein
Kapitel, wie man zu sagen pflegt, und dazu hat sich der Meister ge-
wWöhnlich recht vorbereitet. Er liest dies Kapitel in voller Ruhe, recht
väterlich, verhehlt dem Sünder nichts, auch das Herbste nicht, läßt
ihm aber auch Gerechtigkeit widerfahren, stellt ihm die Folgen seines
Tuns in Bezug auf sein zukünftig Schicksal vor. Und wenn der
Meister fertig ist, so erscheint die Sache so weit abgetan, daf der
Abkapitelte oder die anderen im Betragen des Meisters durchaus-
nichts spüren, weder Bitterkeit noch Heftigkeit noch etwas anderes.
Diese Kapitel sind meist von guter Wirkung wegen des Väterlichen,
welches darin vorherrscht, wegen der Ruhe, mit welcher sie gehalten
werden, wegen der Schonung vor andern. Von der Selbstbeherrschung
und ruhigen Gemessenheit in solchen Häusern vermag man sich kaum
eine Vorstellung zu machen.
Unter solchen äußeren Verhältnissen lebte der Bauer Johannes mit
seinen Hausgenossen. Uli, des Meisters Knecht, war ein großer, schöner
Bursche, noch nicht 20 Jahre alt, von kraftvollem Ausschen, aber
mit einem Ausdruck im Gesichte, welcher nicht auf Mäßigkeit schließen
ließ. Er war vom gestrigen Sonntagsvergnügen, wie öfters vorher, mit
wüstem Kopfe heimgekehrt. Wohl empfand er das Unrechte seines
Gebahrens, wohl ahnte er, was es bei seiner bisherigen Lebensart für
ein Ende mit ihm nehmen müsse; aber Scham und finsterer
Trotz verdunkelten seinen sonst hellen Blick und verschlossen
sein Herxz.
Johannes rief ihn am Montag vormittags ins Stübli und hub also
an: „Hör’'. Uli, so kann es nicht länger fortgehen, du tust mir zu wüst,
dein Betrinken kommt mir zu oft wieder; ich will meine Rosse und
Kühe keinem anvertrauen, der den Kopf voll Branntwein oder voll
Wein hat, einen solchen darf ich nicht mit der Laterne in den Stall
lassen und ganz besonders nicht, wenn er noch dazu tubaket wie du:
es sind mir schon viele Häuser so verleichtsinnigt worden. Ich weiß
auch gar nicht, was du auch sinnst und was du denkst, wo das hinaus
will?“ Er habe noch nichts verleichtsinnigt, antwortete Uli, er habe
seine Arbeit immer noch gemacht, es habe sie ihm niemand noch zu
machen brauchen, und was er trinke, zahle ihm niemand; was er
vertrinke, gehe niemanden an, er vertrinke sein Geld.