Full text: Lesebuch für Landwirtschaftliche Winterschulen und ähnliche Anstalten im Königreich Bayern.

— 34 — 
stolzer Ruhe liegt das Haus mitten in den grünen Bäumen, in ruhigem, 
gemessenen Anstande bewegen sich um und in demselben seine Bewohner 
und über die Bäume schallt höchstens das Wiehern der Pferde, aber 
nicht die Stimme der Menschen. Es wird nicht viel und laut getadelt. 
Mann und Weib tun es gegen einander nie, daf es andere hören, 
über Fehler der Dienstboten schweigen sie oft oder machen gleichsam 
im Vorbeigehen eine Bemerkung, lassen bloß ein Wort, eine Andeutung 
fallen, welche nur das Ohr dessen erreicht, dem sie gilt. Wenn etwas 
Besonderes vorgefallen oder das Maf voll geworden ist, so rufen sie 
den Sünder ins Stübli, und zwar so unbemerkt als möglich, oder suchen 
ihn bei einsamer Arbeit auf und lesen ihm unter vier Augen ein 
Kapitel, wie man zu sagen pflegt, und dazu hat sich der Meister ge- 
wWöhnlich recht vorbereitet. Er liest dies Kapitel in voller Ruhe, recht 
väterlich, verhehlt dem Sünder nichts, auch das Herbste nicht, läßt 
ihm aber auch Gerechtigkeit widerfahren, stellt ihm die Folgen seines 
Tuns in Bezug auf sein zukünftig Schicksal vor. Und wenn der 
Meister fertig ist, so erscheint die Sache so weit abgetan, daf der 
Abkapitelte oder die anderen im Betragen des Meisters durchaus- 
nichts spüren, weder Bitterkeit noch Heftigkeit noch etwas anderes. 
Diese Kapitel sind meist von guter Wirkung wegen des Väterlichen, 
welches darin vorherrscht, wegen der Ruhe, mit welcher sie gehalten 
werden, wegen der Schonung vor andern. Von der Selbstbeherrschung 
und ruhigen Gemessenheit in solchen Häusern vermag man sich kaum 
eine Vorstellung zu machen. 
Unter solchen äußeren Verhältnissen lebte der Bauer Johannes mit 
seinen Hausgenossen. Uli, des Meisters Knecht, war ein großer, schöner 
Bursche, noch nicht 20 Jahre alt, von kraftvollem Ausschen, aber 
mit einem Ausdruck im Gesichte, welcher nicht auf Mäßigkeit schließen 
ließ. Er war vom gestrigen Sonntagsvergnügen, wie öfters vorher, mit 
wüstem Kopfe heimgekehrt. Wohl empfand er das Unrechte seines 
Gebahrens, wohl ahnte er, was es bei seiner bisherigen Lebensart für 
ein Ende mit ihm nehmen müsse; aber Scham und finsterer 
Trotz verdunkelten seinen sonst hellen Blick und verschlossen 
sein Herxz. 
Johannes rief ihn am Montag vormittags ins Stübli und hub also 
an: „Hör’'. Uli, so kann es nicht länger fortgehen, du tust mir zu wüst, 
dein Betrinken kommt mir zu oft wieder; ich will meine Rosse und 
Kühe keinem anvertrauen, der den Kopf voll Branntwein oder voll 
Wein hat, einen solchen darf ich nicht mit der Laterne in den Stall 
lassen und ganz besonders nicht, wenn er noch dazu tubaket wie du: 
es sind mir schon viele Häuser so verleichtsinnigt worden. Ich weiß 
auch gar nicht, was du auch sinnst und was du denkst, wo das hinaus 
will?“ Er habe noch nichts verleichtsinnigt, antwortete Uli, er habe 
seine Arbeit immer noch gemacht, es habe sie ihm niemand noch zu 
machen brauchen, und was er trinke, zahle ihm niemand; was er 
vertrinke, gehe niemanden an, er vertrinke sein Geld.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.