Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

2966 Das Prüfungswesen 
einer Büchersammlung mit voller Freiheit der Benützung einen weit bes- 
seren Ausweis über Kenntnisse und Bildung geben, als ein auf das Gedächt- 
niss allein ausgestellter Wechsel. — Die Feststellung der Aufgaben für 
schriftliche Fragen wird besser nicht in die Willkür der einzelnen Mitglieder 
der Prüfungsbehörde gestellt, sondern zur Vermeidung von Einseitigkeit 
oder von Berechnung auf bestimmte Kandidaten durch collegialische Be- 
schlussnahme bewerkstelligt. Die häufig befolgte Methode, eino grössere 
Anzahl von Fragen ein für allemal festzustellen und aus denselben die für 
die jeweilige Prüfung nöthige Anzahl durch das Loos zu ziehen, führt 
leicht zu einem mechanischen Vorbereiten auf diese, doch allmählig bekannt 
werdenden Fragen, und erschwert wenigstens die Berücksichtigung neuer 
Ansichten und Thatsachen. Auch ist keine Gewährleistung gegen unpas- 
sende Zufälle. 
Die Dauer der Prüfungen sei nicht über die Gebühr und ohne Zweck 
ausgedehnt. Es bedarf nicht mehrerer Wochen oder gar Monate, um ein 
Urtbeil über die Kenntnisse eines jungen Mannes zu fällen; auch ist der 
Zeitverlust, und für entfernt Wohnende der Aufwand, zu bedenken. Einige 
Tage, höchstens Wochen, für die schriftlichen Ausarbeitungen, einige 
Stunden für mündliche Befragung eines jeden einzelnen Kandidaten und, 
wo diess nöthig ist, die zum Beweise manueller Fertigkeiten genügende 
Zeit reichen völlig aus. 
Eine öffentliche Vornahme der mündlichen Prüfungen hat ohne Zweifel 
auch Nachtheile, indem sie schüchterne Kandidaten noch mehr zu beengen 
geeignet ist; aber die Vortheile überwiegen. Sie giebt eine Gewährleistung 
weiter für Unparteilichkeit und ehrliche Behandlung der Sache und es 
nöthigt die Prüfenden zur Anstrengung auch ihrer Kräfte, wogegen sie 
dieselbe gegen fälschliche Verdächtigungen unzufriedener Examinanden 
schützt. Es ist somit Oeffentlichkeit anzurathen. 
Die Frage, ob verschiedene Grade von Prüfungszeugnissen zu ertheilen 
seien, oder nur überhaupt die erprobte Befähigung anerkannt werden soll, 
ist wohl im ersteren Sinne zu beantworten. Die für die Besseren dadurch 
verliehene Auszeichnung ist an und für sich gerecht; das Streben nach 
ihrer Erlangung wirkt schr anregend auf Alle; die Vorgesetzten werden 
auf die am meisten Versprechenden zu deren Nutzen und zu dem der 
Sache aufmerksam gemacht. Es muss aber dabei richtig verfahren werden. 
Nicht selten wird der erste Grad des Zeugnisses so hoch gestellt, dass er 
kaum jemals zuerkannt werden kann. Diess ist nicht nur verkehrt und 
ungerecht in Beziehung auf die von einem jungen Mann zu verlangenden 
Kenntnisse, sondern es wirkt entmuthigend.. Für wirklich ganz gute 
Leistungen gebührt auch die Anerkennung. Kommt der ganz ausserordent- 
liche Fall eines selbst die erste Zeugnissklasse offenbar bedeutend über-
	        
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