112 Auf den Kriegsschauplätzen
um Unbesonnenheiten zu vermeiden, die der Bevölkerung schweres Un-
heil zuziehen mußten. Jedenfalls erzeugte die Luftpropaganda eine be-
wunderungswerte Siegeszuversicht unter der Bevölkerung, die auf manche
deutsche Heeresangehörige ihren einschüchternden Eindruck nicht verfehlte,
besonders im Vergleich mit der durch die feindliche Propaganda und
sonstige Einwirkungen zerbrochenen Stimmung der eigenen Heimat.
Die Grundauffassung der französischen Bevölkerung, auf die diese
Hetzpropaganda stieß, lernte ich besonders eindringlich aus einem Bei-
spiel kennen: Auf der Fahrt von einem Armeeoberkommando zu einem
anderen passierte ich ein großes Waldgebiet. Kaum eine Straße führte
senkrecht zur Front. Das Gebiet war von den Kriegsereignissen voll-
ständig unberührt. In völliger Einsamkeit lag ein Schloß an der Straße,
in dem der Führer meines Kraftwagens Wasser für den Kühler nehmen
wollte. Vor dem Schloß befand sich ein großer Ehrenhof, dessen Eingang
durch zwei Pförtnerhäuser flankiert war. Hinter den Fenstern des einen sah
ich eine weißhaarige Matrone sitzen. Ich betrat das Haus, um zu fragen,
ob ich mir das Innere des Schlosses ansehen dürfe, während der Fahrer
den Kraftwagen in Ordnung brachte. Ich fand in dem ruhigen, behag-
lichen Zimmer außer der alten Frau eine junge Französin von unge-
wöhnlich großem Wuchs und Schönheit. Während sie den Schlüssel
suchte, fragte ich, ob die alte Frau ihre Mutter wäre. Sie erwiderte,
daß es die Großmutter sei, und bejahte meine Frage, daß sie sich noch
des Krieges von 1870/71 entsänne. Auf meine weitere Frage, was
die Großmutter denn jetzt zum Kriege sage, bekam ich die Antwort,
daß die Deutschen viel grausamer geworden seien, als sie damals gewesen
wären. Ich war über das Urteil erstaunt, weil es ganz ausgeschlossen
war, daß diese beiden Frauen in ihrer kriegsfernen Einsamkeit irgend-
welche unmittelbaren Eindrücke vom Kriege gewonnen hatten, denn sie
konnten auch keine Nachrichten vom Kriegsschauplatz haben, weil der
Verkehr der Bevölkerung und der Postverkehr unterbunden war. Ich
versuchte der jungen Französin klar zu machen, daß nicht die Deutschen,
wohl aber der Krieg grausamer geworden sei und daß Münderungen
die trotz aller Strenge der Behörden unausbleibliche Begleiterscheinung
eines Krieges seien. Ich konnte ihr erzählen, daß ich schon zu Beginn
des Krieges mit den ersten deutschen Truppen in die französische Stadt
Vouziers gelangt sei und daß wir die Stadt völlig geplündert durch
französische Soldaten vorgefunden hätten. Während die junge Französin