56 Kriegsausbruch
hörigen dieser Staaten gewonnen hatte. Kein Russe, aber zunächst auch
kein Franzose zeigte sich fähig, sein in den Kampf getretenes Volk an
den Feind zu verraten. Als die deutschen Truppen vor einem befestigten
Platz lagen, zu dessen Kommandanten im Frieden Beziehungen bestanden
hatten, lag der Gedanke nahe, diesen zur Ubergabe des Platzes aufzu-
fordern. Ein ihm bekannter Nachrichtenoffizier unterzog sich der Auf-
gabe. Der Kommandant lehnte ab. Als sehr viel später der Platz durch
Waffengewalt fiel, fand sich ein Heeresbefehl, der gerade diesen Offizier
wegen der tapferen Verteidigung belobte und beförderie.
Dennoch gelang es auch im feindlichen Lager neue Beziehungen an-
zuknüpfen. Denn mit der Dauer des Krieges erschlaffte auch bei den
anderen Völkern die nationale Widerstandskraft. Aber als es zum ersten
Male, und zwar in Frankreich, gelang, hatte die Zahl der in Deutsch-
land wegen Landesverrates gerichtlich verurteilten Deutschen die 30
überschritten.
Andererseits fand auf den Generalstab bei Kriegsausbruch ein An-
sturm aller möglichen Persönlichkeiten statt, die als Spione Dienst
leisten wollten. Zum Teil von ganz phantastischen Vorstellungen ge-
trieben, war die Mehrzahl ganz unbrauchbar. Bei der harten Friedens-
schulung des deutschen Nachrichtendienstes fiel es nicht schwer, die
Spreu vom Weizen zu sondern. Neben offensichtlichen Betrügern und
Hochstaplern internationaler Art fanden sich Deutsche beiderlei Ge-
schlechtes, die, dem kämpfenden Heer an Mut und Hingabe für das
Vaterland gleich, dem Nachrichtendienst ihr Leben zur Verfügung stell-
ten. Auch blühte, ähnlich der Spionenfurcht, eine Spionage auf eigene
Faust auf, in der sich infolge fehlender aufnahmefähiger Organisationen
viel nationales Wollen nutzlos erschöpfte. An Nachrichten über den
Feind fehlte es somit auch in Deutschland beim Kriegsausbruch nicht,
sie waren aber fast ausnahmslos schwer zu verwerten und boten den
sofort einsetzenden Bluffnachrichten des Gegners die Möglichkeit, ihr
Ziel zu erreichen, zumal sie ungeleitet den Weg in die breite Masse
fanden.
Die Eindrücke bestätigten, daß die feindlichen Regierungen längst die
Zustände beim Kriegsausbruch vorbedacht hatten. Auch bestätigte sich,
daß die sibirischen Armeekorps schon vor der allgemeinen russischen
Mobilmachung nach dem europäischen Rußland geschafft worden waren.
Während sie bei normaler Mobilmachung erst Mitte September hätten