Auf den Kriegsschauplätzen 79
besser bei keinem deutschen Oberkommando hätte sein können. Als War-
schau erobert wurde, wurden gedruckte Verzeichnisse von 120 streng ge-
heimen Aktenstücken und Plänen der deutschen und österreichischen Wehr-
macht, die bereits in den Jahren 1907 bis 1910 durch die Nachrichten-
abteilung in Warschau dem russischen Generalstab verschafft worden
waren, erbeutet. Ferner gewährten Einblick in die Erfolge der Vor-
kriegsspionage Rußlands die in Wilna, Kowno, Riga, Cholm und an-
deren Standorten hoher russischer militärischer und ziviler Behörden er-
beuteten Akten. Der „Weg durch das Brandenburger Tor“ war durch
die Erkundung Deutschlands und durch die dort hergestellten Beziehungen
hervorragend vorbereitet.
Aber die Russen wurden von dem größten Geheimnis überrascht, das
dem deutschen Heere innewohnte. Dies war die Hingabe eines einigen
Volkes an die Verteidigung des Vaterlandes. Das in stiller pflichttreuer
Arbeit entstandene Führertum des Generalstabes fand in dem Feldherrn-
paar Hindenburg-Ludendorff seine Verkörperung. Das russische Heer
wurde von weit unterlegenen deutschen Kräften nach Rußland zurück-
geworfen. Damit war die ganze Friedensarbeit des gewaltigen russischen
Nachrichtendienstes wertlos geworden. Die Voraussetzungen des russi-
schen Nachrichtendienstes versagten. Für die neue, eine straffe, schnell
wirkende Arbeit fordernde Aufgabe war die übermäßig aufgeblähte Or-
ganisation des russischen Friedensnachrichtendienstes nicht geschult.
Alle bei Kriegsbeginn auftauchenden Gerüchte, daß die Russen sich
durch brennende Häuser, Glockengeläut, Windmühlen und ährliche
Kleinigkeiten Vorteile hätten verschaffen können, sind, wie derartige
Ansichten über die Mittel der Spionage auf dem Kriegsschauplatz über-
haupt, in das Gebiet der Fabel zu verweisen.
Zunächst blieb den Russen keine andere Nachrichtenquelle, als die
Aussagen deutscher Kriegsgefangener.
Sie bildeten ein wertvolles Material. Sie fanden deshalb meist im
Bereich der russischen Front eine gute Behandlung, um ihre Bereitwillig-
keit zu Aussagen herbeizuführen. Das Martyrium der russischen Kriegs-
gefangenschaft begann für sie meist erst in der Etappe. Trotzdem konnte
aus erbeuteten Befehlen festgestellt werden, daß die deutschen Kriegs-
gefangenen im allgemeinen nicht viel aussagten. Die raffinierte Be-
handlung von Kriegsgefangenen zum Zweck der Ausfragung, die wir
auf den westlichen Kriegsschauplätzen kennen lernen werden, bestand bei