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Angst zu jagen. Dieser Pfarrer wollte nämlich klüger sein, als unser
Heiland. Obgleich Christus Matth. 24, 36. ausdrücklich erklärt: Von
dem Tage und der Stunde seiner Wiederkunft zum letzten Gericht
wüßte niemand, auch die Engel nicht, sondern allein sein Vater, so
wollte Stiefel doch aus der Offenbarung Johannis gefunden haben,
daß der jüngste Tag den 3. Oktober 1533 früh nach 7 Uhr ein-
treten werde.
Luther bat den falschen Propheten dringend, er solle seine
Prophezeiung für sich behalten, allein Stiefel predigte seinen Irr-
thum aus. Leider fand er mehr Glauben, als unser Heiland, und
viele Bauern verkauften Hab und Gut, um sich von allem Irdischen
zu trennen. Selbst der Bürgermeister zu Wittenberg versteckte sich
am 3. Oktober auf den Oberboden.) So recht fest mochte dieser
Mann von der Richtigkeit dieser Prophezeiung doch nicht überzeugt
sein, denn er vergaß nicht, Lebensmittel, namentlich Bier, mit in sein
Versteck zu nehmen.
Der mit Zittern und Zagen erwartete 3. Oktober erschien. Die
Bauern zu Lochau eilten in aller Frühe in die Kirche. Ihr Pfarrer
bestieg die Kanzel und predigte. Es schlug sieben, es schlug acht Uhr,
eine Stunde nach der andern verging und siehe da, Stiefels Pro-
phezeiung wurde — wie es auf Grund der Schrift auch gar nicht
anders sein konnte — zu Schanden. Jetzt fielen die irregeleiteten
Bauern entrüstet über den falschen Propheten her, rissen ihn von der
Kanzel, banden ihn, führten ihn nach Wittenberg und verlangten mit
Ungestüm, daß er ihnen den erlittenen Schaden ersetzen solle, da die
Meisten ihr Hab und Gut verschleudert hatten und blutarm geworden
waren.
Stiefel verlor zwar seine Stelle zu Lochau, aber den armen
Bauern konnte natürlich niemand helfen. Wenn Stiefel jetzt lebte
und der Welt bekannt machte, er habe in der Offenbarung Johannis
gefunden, der jüngste Tag trete 1882 den 3. Oktober früh nach
7 Uhr ein — würde es jetzt noch Christen geben, die ihm mehr
glaubten, als Christo? —
Solche Unwissenheit und solch ein Aberglaube schmerzte unsern
Luther und Melanchthon aufs tiefste. Als sie im Jahre 1527
den Zustand der Kirchen und Schulen untersuchten und fanden, daß
sogar manche Geistliche nicht einmal lesen und das Vaterunser beten
konnten, schreibt Melanchthon: „Wie kann man es verantworten,
daß man die armen Leute bisher in so großer Dummheit gelassen
hat! Mein Herz blutet, wenn ich diesen Jammer erblicke.“
*) Lukas Kranach war es nicht, denn dieser wurde erst 1537
Bürgermeister in Wittenberg.