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liche Stoffe tragen sollten. Selbst den „Klöppelmägden“ und den
Dienstboten mußten einfachere Sitten vorgeschrieben werden. Die
Uebertreter dieser Vorschriften hatten Geld- und Gefängnißstrafe zu
erwarten; überdies wurden ihnen auch die verbotenen Kleidungsstücke
weggenommen.
Mit der Annahme der französischen Sitten und Gebräuche und
des französischen Luxus hielt noch ein ganz anderes Gebrechen ganz
unvermerkt seinen Einzug, und dies war — der französische Leicht-
sinn. Nur der untere Bürgerstand, namentlich aber der Bauernstand
hielt noch unerschütterlich an der Einfachheit fest, in der er erzogen
worden war, so daß damals einzelne ein so hohes Alter erreichten,
wie es jetzt nicht mehr vorkommt. So starb z. B. (1630) zu Nassau
bei Frauenstein ein Mann im Alter von 123, (1664) ein Schuh-
macher in Leipzig von 124, (1674) ein Bürger zu Roßwein von
120 Jahren. Hierzu kam freilich noch der Umstand, daß man damals
kräftigere Speisen, namentlich mehr Fleisch als jetzt genoß.
Die Prachtliebe Johann Georg II. theilte sein Sohn und Nach-
folger Johann Georg III. nicht. Ihm war jeder unnütze Prunk zu-
wider, von welcher Gesinnung er bei seinem Regierungsantritte den
deutlichsten Beweis lieferte. Ohne Weiteres entließ er z. B. sofort
alle ausländischen Hofleute, namentlich alle Italiener, Heiducken,
Kroaten. Mit den Verboten, die auch er, wie sein Vater, gegen den
eingerissenen Luxus erließ, vereinigte er das eigene Beispiel und dies
wirkte mehr, als angedrohte Geld= und Gefängnißstrafe.
69. Allgemeines über das 17. Jahrhundert.
Liederdichter. — fatechismuseramen. — Uonfirmation. — ZBußtagr. —
Reformationsfest. — Kirchenglocken. — Dresdner Kreuz-Batechismus. —
Gelehrter Bauer Arnold. — Baukhunst. — Musik. — Rohheit. —
Aberglaube. — Tabak. — Branntwein. — Kaffer.
Unzählige traurige und betrübte Herzen, die von Sorgen gequält
und von Prüfungen heimgesucht werden, haben sich schon an dem
Liede erquickt: „In allen meinen Thaten rc.“ (Nr. 456 des Dresdner
Gesangbuches). Der Dichter dieses Liedes — Paul Flemming —
war von Geburt ein Sachse. Derselbe erblickte das Licht der Welt
im Jahre 1609 zu Hartenstein, an welchem Orte sein Vater Geistlicher
war. Nachdem sich der junge Paul auf der Fürstenschule zu Meißen
auf die Universität vorbereitet hatte, studirte er in Leipzig Medicin.
Durch das Waffengeklirr im dreißigjährigen Kriege veranlaßt, verließ
Flemming sein Vaterland und wandte sich nach Holstein. Hier schloß
er sich einer Gesandtschaft an, welche der Herzog von Holstein
(Gottorp) nach Moskau an den Czar von Rußland schickte.