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Wohl kein Land, als unser unglückliches Sachsen, konnte diese
Waffenruhe freudiger begrüßen. Seit dem Monate März blutete
unser Vaterland aus allen Wunden. Von Osten her waren die Russen
und Preußen eingedrungen, und von Westen her kamen die Heeres—
züge der Franzosen. Da galt auch das Wort des Propheten: „Das
Land stehet jämmerlich und verderbt.“ Für die Menschen gab es
kein Brot, für das Vieh kein Futter und auf den Feldern keine Ernte.
In der Lausitz (damals noch ganz zu Sachsen gehörig) waren nach
der Schlacht bei Bautzen und bei dem Rückzuge der Verbündeten und
dem Nachdringen der Franzosen 24 Dörfer in Asche gelegt worden.
Manche Städte, namentlich Dresden, bildeten ein großes Lazareth.
Nach der Schlacht bei Bautzen war die Zahl der Verwundeten in
Dresden so groß, daß man sie in den Lazarethen und in anderen
Häusern nicht mehr unterzubringen vermochte. Auf den Straßen
lagen mitten unter Leichen und Röchelnden ganze Reihen solch
Unglücklicher.
Wie groß in aller Herzen die Sehnsucht nach Frieden und nach
Erlösung von einer so furchtbaren Last war, läßt sich denken. An
dem Zustandekommen des Friedenswerkes arbeiteten vor allem der
österreichische Kaiser und der König von Sachsen. Dagegen merkte
man es Napoleon zu deutlich an, daß es ihm mit dem Friedens-
schlusse kein Ernst war. Er zog die Verhandlungen hin und gab
ausweichende Antworten. Offenbar wollte er nur Zeit gewinnen,
um neue Streitkräfte heranziehen zu können.
Von einem Waffenstillstande konnte nur insofern die Rede sein,
als sich die feindlichen Heere nicht bekämpften; im übrigen hätte es,
namentlich in unserm Sachsen, nicht kriegerischer hergehen können.
Dresden wurde immer mehr befestigt. An den Straßen nach Königs-
brück, nach Radeberg, nach Bautzen, nach Böhmen wurden hohe
Schanzen aufgeworfen; ebenso wurde der Fuß des Liliensteins und
der Sonnenstein befestigt. Hier hatte der König im Jahre 1811
eine Heilanstalt für Geistes= und Gemüthskranke errichtet. „Laßt die
Narren laufen!“ meinte der Kaiser. Man öffnete die Thore, die
Unglücklichen wurden fortgetrieben, und in Eile befestigte man den
Felsen so gut wie möglich. Neue Aushebungen schrieb man aus.
Ueberall wurde exercirt, überall wurden Musterungen und Paraden
gehalten. Neue Regimenter wälzten sich auf den Heeresstraßen daher.
Neue Hafer= und Heulieferungen wurden dem Lande auferlegt.
Natürlich stimmten diese großartigen Vorkehrungen die Friedens-
hoffnungen gewaltig herab. ç
Mittlerweile legten die Verbündeten die Hände auch nicht in
den Schoß. Von allen Seiten zogen sie neue Verstärkungen heran,
und was die Hauptsache war, sie gewannen einen neuen mächtigen
Bundesgenossen, und zwar den Kaiser von Oesterreich. Napoleons