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stellen und bemühte sich, mit denjenigen chinesischen Staats-
mämern, die etwas französisch und englisch sprachen, die
Unterhaltung ohne Dolmetsch fortzusetzen. Unter den euro-
päischen Herren der Begleitung befand sich auch der Maler
Lukas Cranach, bei dessen Vorstellung Bismarck ausrief:
„Lukas Cranach? Ein stolzer Name, aber er legt auch große
Ppflichten auf!“
Li: „Ich bin hergekommen, um Eurer Durchlaucht Rat
in einer Frage zu erbitten. Welch ein Mittel gibt es, um China
wieder zum Gedeihen zu verhelfen?“
Bismarck: „Der Gegenstand liegt mir leider so fern;
ich habe mich um die politischen Verhältnisse Ihres Landes
für gewöhnlich nicht kümmern können, und wage daher nicht
hierüber zu urteilen.“
Li: „Aber gibt es keinen allgemeinen politischen Grund-
satz?“
Bismarck: „Eine Armee bilden und damit die Staats-
gewalt herstellen; ein anderes Mittel außer diesem gibt es
nicht. Es braucht nicht eine besonders zahlreiche Armee zu
sein; ihre Anzahl braucht 50.000 Mann nicht zu übersteigen.
Aber die Leute müssen jung sein und Mut und Disziplin haben;:
dann wird es, denke ich, keinen Widerstand mehr geben.“
Li: „Mangel an Menschen drückt China nicht, auch nicht
Mangel an Lehrern oder an militärischen Wissenschaften.
Dreißig Jahre hindurch habe ich mich gemüht, die Schwachen
stark zu machen und nun stehe ich in tiefer Beschämung. In
den fünf Erdteilen gleicht keine Armee der deutschen. Wenn
ich dereinst nach China zurückkehre, so soll die neue Armee nach
deutschem Muster gebildet werden. Aber was die Lehr-
meister derselben betrifft, so müssen wir uns auf Deutschland
verlassen.“
Bismarck: „Nach Bildung einer Armee wird sich der
Fortschritt schon zeigen. Eine solche Reichsarmee braucht nicht
an verschiedenen Orten zerstreut zu sein; sie soll vielmehr in