Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

234 Zwölftes Buch. Zweites Capitel. 
Nun befand sich aber damals Ostfriesland in sehr zerrüttetem 
Zustande. Die Streitigkeiten zwischen Fürsten und Ständen, welche 
in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts meistentheils ruhten, 
versetzten dieses Land noch einmal in heftige Gährung und führten 
sogar zum Blutvergießen. Der Grund war folgender. 
Die Verwaltung der Landeseinkünfte, die ausschließlich in den 
Händen der Stände lag, hatte, wie gewöhnlich, zu vielen, zum Theil 
nicht ungegründeten Klagen gegen dieselben Anlaß gegeben; der Kanz- 
ler des Fürsten, ein Mann von Feuer und Selbstgefühl, Zögling der 
hallischen Schule, in dem sich die Grundsätze des Thomasius mit dem 
lutherischen Pietismus vereinigten, des Namens Brenneisen, unter- 
nahm, das fürstliche Interesse geltend zu machen. Er erlangte einige 
kaiserliche Decrete zu Gunsten desselben und brachte nach und nach, 
zum Theil durch Ueberredung, zum Theil durch offene Gewalt, die 
Mebrzahl der Stände auf seine Seite, keineswegs aber alle: die Ritter- 
schaft und die vornehmste Stadt im Lande, Emden, hielten ihm fort- 
während Widerpart, und eine vollkommene Spaltung erfolgte. Zwei 
Parteien bildeten sich, die dann und wann entgegengesetzte Land- 
tage hielten; zwei verschiedene Landesadministrationen, die eine zu 
Aurich, die andere zu Emden, traten einander gegenüber; sowohl die 
gehorsamen Stände als die renitirenden, denn diesen Namen gab man 
ihnen, wollten das Land sein. Der letzte Fürst aus dem Hause Cirk- 
sena, Carl Edzard, hat nicht einmal die Huldigung einnehmen können; 
nach Emden ist er niemals gekommen, obgleich er seinen Wohnsitz 
nur ein paar Meilen davon hatte. Uebrigens aber erlangten die ge- 
horsamen Stände in dem größern Theile des Landes das Uebergewicht. 
Die renitirenden waren von den Landtagen und Aemtern ausgeschlossen, 
sie wurden zum Theil ihrer Güter, die Stadt Emden ihrer Herrschaften 
beraubt. Von alten Zeiten her befand sich eine kaiserliche Sauvegarde 
im Lande; die innere Fehde hatte aber auch andere Truppen ins Land 
gezogen, Holländer und Preußen, die mehr auf Seiten der Stände, 
einige Compagnien Dänen, die auf Seiten des Fürsten waren. AuchZ 
an Hannover hatte er einen Rückhalt, das eine Erbverbrüderung gel- 
tend machen wollte, die aber in offenbarem Widerspruch mit der von 
dem Reich gewährten Anwartschaft stand. An eine zusammenhaltende 
Landesverfassung, einen geordneten Zustand war nicht zu denken, als 
der letzte Cirksena, Carl Edzard, in der Nacht vom 25. Mai 1744 
verstarb. Man erzählt, sein Tod sei dadurch beschleunigt worden, daß 
sich die Meinung, mit der er sich seit einiger Zeit geschmeichelt, als 
habe seine Gemahlin Aussicht auf Nachkommenschaft, irrig erwies.
	        
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