234 Zwölftes Buch. Zweites Capitel.
Nun befand sich aber damals Ostfriesland in sehr zerrüttetem
Zustande. Die Streitigkeiten zwischen Fürsten und Ständen, welche
in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts meistentheils ruhten,
versetzten dieses Land noch einmal in heftige Gährung und führten
sogar zum Blutvergießen. Der Grund war folgender.
Die Verwaltung der Landeseinkünfte, die ausschließlich in den
Händen der Stände lag, hatte, wie gewöhnlich, zu vielen, zum Theil
nicht ungegründeten Klagen gegen dieselben Anlaß gegeben; der Kanz-
ler des Fürsten, ein Mann von Feuer und Selbstgefühl, Zögling der
hallischen Schule, in dem sich die Grundsätze des Thomasius mit dem
lutherischen Pietismus vereinigten, des Namens Brenneisen, unter-
nahm, das fürstliche Interesse geltend zu machen. Er erlangte einige
kaiserliche Decrete zu Gunsten desselben und brachte nach und nach,
zum Theil durch Ueberredung, zum Theil durch offene Gewalt, die
Mebrzahl der Stände auf seine Seite, keineswegs aber alle: die Ritter-
schaft und die vornehmste Stadt im Lande, Emden, hielten ihm fort-
während Widerpart, und eine vollkommene Spaltung erfolgte. Zwei
Parteien bildeten sich, die dann und wann entgegengesetzte Land-
tage hielten; zwei verschiedene Landesadministrationen, die eine zu
Aurich, die andere zu Emden, traten einander gegenüber; sowohl die
gehorsamen Stände als die renitirenden, denn diesen Namen gab man
ihnen, wollten das Land sein. Der letzte Fürst aus dem Hause Cirk-
sena, Carl Edzard, hat nicht einmal die Huldigung einnehmen können;
nach Emden ist er niemals gekommen, obgleich er seinen Wohnsitz
nur ein paar Meilen davon hatte. Uebrigens aber erlangten die ge-
horsamen Stände in dem größern Theile des Landes das Uebergewicht.
Die renitirenden waren von den Landtagen und Aemtern ausgeschlossen,
sie wurden zum Theil ihrer Güter, die Stadt Emden ihrer Herrschaften
beraubt. Von alten Zeiten her befand sich eine kaiserliche Sauvegarde
im Lande; die innere Fehde hatte aber auch andere Truppen ins Land
gezogen, Holländer und Preußen, die mehr auf Seiten der Stände,
einige Compagnien Dänen, die auf Seiten des Fürsten waren. AuchZ
an Hannover hatte er einen Rückhalt, das eine Erbverbrüderung gel-
tend machen wollte, die aber in offenbarem Widerspruch mit der von
dem Reich gewährten Anwartschaft stand. An eine zusammenhaltende
Landesverfassung, einen geordneten Zustand war nicht zu denken, als
der letzte Cirksena, Carl Edzard, in der Nacht vom 25. Mai 1744
verstarb. Man erzählt, sein Tod sei dadurch beschleunigt worden, daß
sich die Meinung, mit der er sich seit einiger Zeit geschmeichelt, als
habe seine Gemahlin Aussicht auf Nachkommenschaft, irrig erwies.