Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

236 Zwölftes Buch. Zweites Capitel. 
angeschlossen hätten; vielleicht wäre dann Alles noch einmal zweifel- 
haft geworden. 
In der That erhob die Tante des verstorbenen Fürsten, Friede- 
rike Wilhelmine, in Verbindung mit ihren Schwestern, denn Ostfries- 
land sei ein gemischtes Lehen und falle auch an die weibliche Descen- 
denz, den Anspruch, die bisherige Regierung fortzusetzen. Zwei Mit- 
glieder des geheimen Rathes schlossen sich ihr an und machten einen 
Versuch, die bisherigen gehorsamen Stände dafür zu gewinnen; sie 
besetzten, denn immer hatte Dänemark diese Ansicht geäußert, die 
Schlösser von Aurich und Berum mit ein paar Commandos dänischer 
Truppen. Allein sie fanden weder in den eigenen Behörden, noch in 
den Ständen, noch vollends in der Stadt Aurich den Beifall, auf den 
sie rechneten. Jedermann war der bisherigen Entzweiung müde und 
sehnte sich nach einem einträchtigen Landesregiment. Die Stadt Aurich 
nöthigte die beiden Räthe, die Truppen von den Schlössern wieder 
wegzuschaffen !)). Am 1. Juni ward die preußische Besitzergreifung 
auch in Aurich in aller Form vollzogen. Die fürstlichen Truppen ge- 
sellten sich der Compagnie Preußen zu, die daselbst einrückte, und tra- 
ten in königliche Dienste. Das Land folgte diesem Beispiele nach. 
Alles dies geschah während jenes Aufenthalts des Königs Friedrich 
im Bade zu Pyrmont, dessen wir gedachten. Er hatte den Fall noch 
nicht so nahe gedacht und nahm keinen Theil an diesen Dingen, die 
den früheren Veranstaltungen gemäß von Berlin aus geleitet wurden. 
Nun aber, höchst erfreut über den glücklichen Anfang, griff auch er 
persönlich in dieselben ein. 
Der Justizminister Cocceji, der schon früher in den ostfriesischen 
Angelegenheiten gearbeitet, war damals eben in Quedlinburg beschäf- 
tigt, die Nachfolge der Schwester des Königs, Amalie, in dem Stifte 
festzusetzen; diesen berief er zu sich, beauftragte ihn, im Vereine mit 
Homfeld, die Landeshuldigung einzunehmen und eröffnete ihm seine 
Gesichtspunkte. 
Er erklärte sich bereit, die Privilegien des Landes anzuerkennen, 
den Rechtshändeln zwischen den Fürsten und Ständen ein Ende zu 
machen, doch wünschte auch er dagegen etwas bessere Leistungen der 
Stände zu seinen Gunsten als die Fürsten bisher genossen hatten. 
Im 6. Juni langte Cocceji in Aurich an; den nächsten Tag traf 
  
1) Homfeld behauptet (29. Mai), daß er durch die Erinnerung, „daß 
der Gebrauch der dänischen Miliz zu vielen landesverderblichen Weiterungen 
Anlaß geben werde“, dazu beigetragen habe.
	        
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