Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

288 Zwölstes Buch. Fünftes Capitel. 
von einer nicht immer gezügelten Lebenskraft, im Gespräch kein Freund 
von langen Reden, sondern abwartend, bis er ein treffendes Wort 
dazwischenwerfen konnte; dieser skelettartig in seiner Erscheinung, so 
daß sein Leben nur ein Hauch schien, aber immer das Wort an sich 
reißend, dogmatisirend. Voltaire lebte und webte in dem Widerspruch 
gegen die positive Religion, besonders den Katholicismus; Maupertuis 
versäumte die Messe nicht mehr, seitdem Voltaire in Potsdam ange- 
kommen war. Und doch hatten sie Vieles gemein: sie waren beide 
Newtonianer, Maupertuis vielleicht noch ungerechter gegen Leibnitz und 
Wolf als Voltaire; sie waren alte Freunde und Hausgenossen. 
Der König neigte sich seiner ganzen Natur nach mehr zu Vol- 
taire. Wer hat es nicht empfunden, daß es ein von aller Willkühr 
unabhängiges Verhältniß der geistigen Persönlichkeiten zu einander 
giebt? Die Gesellschaft des einen verstimmt an und für sich; man 
fühlt sich gedrückt und trübe; in der Berührung mit dem andern er- 
wachen die Gedanken, die Worte kommen von selbst, und die Seele 
fühlt sich wohl in ihrer Thätigkeit. Ein solches Verhältniß hatte 
Friedrich zu Voltaire, den er für den bestorganisirten und anmuth= 
vollsten Geist erklärt, welchen die Natur geschaffen habe. 
Wenn Voltaire bei alledem nicht ein vollkommenes und für die 
andern drückendes Uebergewicht erlangte, so rührte es daher, daß er 
Eigenschaften zeigte, die der Vorliebe für seinen Geist Grenzen setzten. 
Aus mannichfaltigen Wiederholungen kennt man die Geschichten, 
die damals das Stadtgespräch von Berlin ausmachten, immer eine 
häßlicher als die andere. Eifersucht und Geldgeiz schienen Voltaire 
zu beherrschen; nur daran schien er Gefallen zu finden, wenn er 
Beleidigungen rächen oder Entzweiungen veranlassen konnte, mochte 
es auch zwischen seinen nächsten Freunden sein. DlArgens ließ sich 
zuweilen von ihm täuschen, nicht so leicht der italienisch feine Alga- 
rotti. Friedrich sagt, man könne von den Thorheiten Voltaires ein 
Buch schreiben, so dick wie ein Band des Bayle; mit einem Geiste 
vom ersten Range sei in diesem Manne eine der perfidesten und schwär- 
zesten Seelen verbunden: wenn er ruhig erscheine, dann denke er am 
gewissesten auf eine Treulosigkeit; auf wessen Meinungen er einzu- 
gehn Miene mache, der müsse sich am meisten vor ihm in Acht nehmen 7). 
1) Friedrich an die Markgröfin ce 22 (das ist das ganze Datum.). Die 
Geschichte mit dem Juden: C'est ’affaire d’un fripon, qui vent tromper 
un filou. — II Dest pas permis, qu'un homme d'esprit que Voltaire en 
fasse un aussi indigne abus — Voltaire s'est emporté, et à sauté an
	        
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