Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

294 Zwölftes Buch. Fünftes Capitel. 
keine Ahnen haben: wer einen Namen besitzen will, muß ihn ver- 
dienen. Wie beklagt er die deutschen Fürsten, die wenn sie von einer 
Reise nach Frankreich zurückkommen, ihren Ehrgeiz darin suchen, 
Meudon oder Versailles in kleinen Dimensionen zu Hause nachzu- 
ahmen. Von den Nichtigkeiten des Hoflebens oder des Treibens in 
großen Städten war wohl niemals ein Mensch mehr durchdrungen 
als Friedrich. Er ist vollkommen zufrieden in seiner Einsamkeit, denn 
das einzige Glück sieht er in geistiger Beschäftigung; was die Natur 
gegeben, muß der Fleiß vollenden. Ruhmesliebe hatte ihn zum Kriege 
gespornt, aber er weiß, daß die Meinung der Menschen von den 
Umständen abhängt, hin und wieder schwankt, das Glänzende oft 
dem Gediegenen vorzieht. Aus allen den Zufälligkeiten, welche auf 
Lob und Tadel einwirken, zieht er die Lehre, daß man den Weih- 
rauch verachten, die Tugend um ihrer selbst willen lieben müsse. 
Er bekennt seiner Schwester einmal, er habe eine zwiefache Phi- 
losophie: im Frieden und Glück schließe er sich den Schülern des 
Epicur an, im Unglück halte er sich an die Lehren der Stoa. — Das 
heißt nur eben, daß er den Genuß durch Reflexion mäßigt oder ent- 
schuldigt und sich im Unglück durch moralischen Schwung erhebt; es 
ist nichts andres, als was ein Philosoph dieses Jahrhunderts sagt, 
daß Neigung zum Wohlleben und zur Tugend, im Kampfe mit ein- 
ander, wo die erste durch die letzte eingeschränkt wird, das höchste 
moralisch-physische Gut hervorbringen 1); nur tritt in den Gedichten, 
der vorwaltenden Stimmung gemäß, bald die eine, bald die andere 
Richtung allein herrschend hervor. 
Nicht alles was an Poesie in ihm war, legte Friedrich in seine 
Gedichte. Wir kennen seine Meisterschaft auf der Flöte; auch hier 
war jede seiner Compositionen ein Versuch, eine besondere Schwierig- 
keit zu überwinden; hauptsächlich aber seine Empfindungen, seine 
Freude, und besonders seinen Schmerz, ein melancholisches Gefühl, 
das ihn sein ganzes Leben begleitete, drückte er in diesen Tönen aus. 
Seine Verse sind oft mehr lebendig angeregtes Raisonnement, als 
Poesie; wie Voltaire sagt, nicht von echt französischem Colorit, aber 
um so eigenthümlicher im Ausdruck, und voll Idcen eines weiten 
Horizontes. 
Wie in den Gedichten, so beschäftigte sich Friedrich in seinen 
Briefen, seinen Gesprächen, unaufhörlich mit den schwierigsten Fra- 
gen, die der Mensch sich vorlegen kann, über Freiheit und Noth- 
1) Kant, Anthropologie, 239.
	        
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