Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

88 Zehntes Buch. Sechstes Capitel. 
nicht aus den Augen; dessen Selbstregierung, jedoch nach seiner An 
weisung nicht ohne guten Rath zu suchen und anzunehmen, hätte er 
nachzuahmen gewünscht;: — er klagte darüber, daß ihn der Cardinal 
nicht tiefer in die Geschäfte eingeweiht habe, wahrscheinlich um sich 
die Leitung derselben ausschließend vorzubehalten, und sprach die Hoff- 
nung aus, daß Leute von Geist und Verdienst, nicht mehr zurück- 
gedrängt durch einen einseitigen Machthaber, der keine andere Auf- 
fassung dulden wolle als die seine, sich ihm, dem König, anschließen 
würden; es war sein Ehrgeiz, die Dinge zu einem rühmlichen Aus- 
gang zu führen. Wenn man die Frage, welche ein allgemeines 
psychologisches Interesse hat, aufwerfen wollte, worin der vornehmste 
Unterschied zwischen beiden Fürsten lag, so könnte man ihn nicht 
darin sehen, daß der jüngere Ludwig ausschweifender gewesen sei: 
wenigstens in den früheren Jahren war dies nicht der Fall; oder 
minder standhaft: er ließ nicht leicht von dem los, was er einmal er- 
griffen hatte; oder mit geringeren Hülfsquellen der Macht versehen: 
das Reich war vielmehr mit einer neuen Provinz vergrößert — der 
Unterschied lag vor allem in einer Grundlage des inneren Wesens. 
Der vierzehnte Ludwig hat mit aller Kraft einer energischen Seele in 
den öffentlichen Angelegenheiten gelebt und ihnen mit einer großartigen 
Persönlichkeit eine allgemeine Richtung gegeben: der funfzehnte Lud- 
wig konnte sich dazu nicht ermannen; wenn er Vortrag annahm, 
hatten nur Ereignisse der Hauptstadt, Ertheilungen von Gnaden und 
Stellen, persönliche Nachrichten von fremden Höfen etwas Anziehendes 
für ihn; die Geschäfte an sich, die Arbeit als solche machte ihm kein 
Vergnügen; um auf der Höhe der Angelegenheiten zu bleiben, be- 
durfte es fremden Antriebes. Diesen gewährten ihm damals der 
Herzog von Noailles, der eine lebendigere Kriegführung, der Cardinal 
Tencin, der umfassendere Gesichtspunkte der Politik anempfahl, und, 
um nichts zu vergessen, auch die Favorit-Maitresse, Duchesse de Cha- 
teauroux, die ein Gefühl der Verwerflichkeit ihres Verhältnisses durch 
das Bestreben, Frankreich wieder zu seinem alten Glanz zu erheben, 
beschwichtigen wollte: sie wollte die Diana von Poitiers Ludwigs XV 
werden. Endlich traten Begebenheiten ein, welche den persönlichen 
Impulsen noch die wichtigsten, in der Sache selbst liegenden hinzu- 
fügten. 
Eben indem man in Paris den König von Sardinien schon für 
gewonnen hielt, schloß derselbe den Vertrag von Worms, welcher auf 
eine Vernichtung der bourbonischen Macht in Italien berechnet war. 
Wenn Frankreich aber niemals zulassen durfte, daß Don Carlos aus
	        
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